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Hoffnung und Gedächtnis

Einen fröhlichen Mörder hat Gott lieb. Wir auch. Warum sich Kommunismus und Nationalsozialismus sehr wohl vergleichen lassen und warum es so viele Unterschiede zwischen beiden gibt. Morden als profanes Reinigungsritual und als transzendenter Akt  ■ Von Alexander Arenberg

Das Fazit des Historikerstreits, damals in den achtziger Jahren, war die Unverträglichkeitsklausel: alles dichotom, Nationalsozialismus und Kommunismus als unvergleichbare Gegensätze. Hie Humanismus, da Barbarei. Antifa triumphans. Heute mit Stéphane Courtois, dem Herausgeber des soeben publizierten Schwarzbuches über die Verbrechen des Kommunismus („Le livre noir du communism. Crimes, terreur, repression“. Editions Robert Laffont, Paris 1997) gilt das Gegenteil: alles gleich, Nationalsozialismus und Kommunismus als Blutsbrüder. Von Brecht weiß man, daß er Kommunismus und Nationalsozialismus in seinem Tagebuch schon 1943 für Zwillinge hielt, lange vor Nolte also. Im Unterschied zu Nolte behielt er, der Überlebenskünstler, seine Weisheit für sich.

Daß Nationalsozialismus und Kommunismus nun gleich sein sollen, geht zu weit. Schließlich steht in Moskau ein Mausoleum, mit Lenin drin, und alle gehen hin und stehen Schlange. In Berlin steht kein Mausoleum, mit keinem Hitler drin, und keiner geht hin, keiner steht Schlange. Und hat je jemand von einem Russen gehört, der sich der sowjetischen Vergangenheit schämt, der vom Tätervolk – in diesem Fall dem russischen – spricht, der ein Mahnmal für die Opfer des Stalinismus plant? Diesen Unterschied gibt es also, der bleibt auch. Was aber erklärt ihn? Jahrelang hörte man das quantitative Argument. Die Nazis hätten sechs Millionen umgebracht, die Sowjets höchstens die Hälfte. Inzwischen weiß man, daß das nicht stimmt. Ein relevantes Argument war es noch nie, und „objektiv“, das macht Courtois klar, war der Kommunismus mindestens so abscheulich wie der Nationalsozialismus.

Das Gedächtnisvolk par excellence

Richard Evens („Im Schatten Hitlers?“ Suhrkamp, Frankfurt 1991) präsentiert das Argument, daß die Geschichte aus der Sicht der Sieger geschrieben werde, in diesem Fall also gegen den Nationalsozialismus, und daß sich damit die kommunistischen Verbrechen im Schatten der nationalsozialistischen verbergen konnten. Harald Weinrich („Lethe. Kunst und Kritik des Vergessens“, Beck, München 1997) glaubt, mit einem verwandten Argument, „daß sich der Völkermord an den europäischen Juden von allen anderen Völkermorden der Geschichte durch mindestens eine Dimension von Grund auf unterscheidet. Das ist die Dimension des kulturellen Gedächtnisses.

Denn von den Juden ist oft und mit guten Gründen gesagt worden, daß sie als Volk in ihrer Religion und Kultur mehr als jedes andere Volk der Geschichte von einem gemeinsamen Gedächtnis zusammengehalten werden, und dies um so mehr, als sie über Jahrhunderte in der Zerstreuung gelebt haben und vielfach heute noch leben. So sind sie – in einer Formulierung von Jacques Le Goff – das ,Gedächtnisvolk par excellence‘ geworden.“ Doch mit diesem Argument wird die fortdauernde Präsenz der Nazigreuel im öffentlichen Bewußtsein auf eine Gedächtnisleistung der Juden reduziert. Das hilft nicht weiter, um auch nur den Nationalsozialismus zu verstehen, schon gar nicht, wenn es um die je spezifische Deutung von sowjetischen und nationalsozialistischen Greueln geht.

Empörung, wie verständlich und legitim auch immer, greift zu kurz. Ihr Kriterienkatalog ist banal. Danach sind Hitler und Lenin und ihre Schergen alle Mörder und Monster. Das sind sie sicherlich, aber die Frage, warum wir sie unterschiedlich wahrnehmen und wie es dazu kommen konnte, erhält so keine Antwort. Meist wird gefragt, als handele es sich um einen Tatbestand, der sich von anderen sozialwissenschaftlichen Tatbeständen im Ausmaß, nicht aber grundsätzlich unterscheide. Immer wieder stellen wir dann aber fest, daß sich die Dimensionen und das Ausmaß des ideologischen Mordens unserer Begrifflichkeit entzieht.

Sprechen wir von einem einfachen Tatbestand: dem fehlenden Unrechtsbewußtsein der Mörder. Was Goldhagen so in Rage versetzt und was Hannah Arendt nur als Banalität zu fassen wußte, ist die Tatsache, daß so viele Menschen so viele andere Menschen ermorden konnten, ohne es je als Unrecht zu empfinden. Die Erklärung ist einfach, und jeder müßte sie kennen: Die Mörder hielten sich für gut, für besonders gut sogar. Hitler sagte ja häufig, daß er der Retter Europas sei. Stalin war nicht so gesprächig, aber an seinem missionarischen Bewußtsein zu zweifeln, gibt es keinen Anlaß. Solange wir das ideologische Morden als – wenn auch alle ethischen Grenzen sprengendes – individuelles Handeln verstehen, entgeht uns dessen mythische Dimension. Die, die hier morden, morden für das Heil der Welt und im Auftrag. Und auch wir – das ermöglicht es uns nämlich, zwischen nationalsozialistischem und kommunistischem Morden zu unterscheiden – nehmen teil an diesem Wahn.

Der ewige Kampf zwischen Gut und Böse

Sowohl der Kommunismus als auch der Nationalsozialismus sind Ideologien, die sich als Antworten auf den jeweiligen Feind konstituieren, negative Derivate des Feindes. Daß der Feind nicht als lebendiger Mensch, sondern als Korpuskel einer Kategorie fungiert, bedingt sowohl die Erbarmungslosigkeit des Täters als auch die Mechanisierung der Tat. Das Morden ist für beide Ideologien ein Arbeiten am Begriff, kein Verbrechen am Menschen. Allerdings trennen sich hier Kommunismus und Nationalsozialismus. Der Kommunismus ist optimistisch, der Nationalsozialismus fatalistisch, der Kommunismus zehrt von der Fortschrittseuphorie des 19. Jahrhunderts, der Nationalsozialismus von der Untergangsstimmung des Fin de siècle, der Kommunist ist ein fröhlicher, zukunftsfroher, der Nationalsozialist ein panischer Mörder.

Für den Nationalsozialismus ist das Morden ein ewig wiederkehrendes, ewig gleiches Reinigungsritual. Blutwaschung und Askese. „Hart wie Kruppstahl, zäh wie Leder, flink wie Windhunde“: der reine Körper. Mehr noch als im Kommunismus sind alle Sinne entleibt, expropriiert, vergesellschaftet: Nürnberg und Olympia, Lichtdome und dröhnende Kolonnen. Nur im Kampf, nur für „Mein Kampf“ lebt der Mensch, den ewigen Kampf zwischen Gut und Böse. Es gibt aus diesem Kampf – anders als für den Kommunisten – keine Erlösung. Alles zielt auf Untergang, spätestens im Führerbunker. Alles ist Götterdämmerung. Als es dieses Denken schon einmal gab vor langer Zeit, hieß es manichäisch und wurde zur Häresie erklärt.

Für den Kommunismus ist das Morden kein profaner, sondern ein transzendenter Akt. Er macht den Täter froh und auch das Opfer. denn beide sind dialektisch vereint, blutig verschmolzen zur Waffe im Kampf um die gute Sache. Brecht demonstriert es uns in der „Maßnahme“. Und auch Heiner Müller rechtfertigt es in „Mauser“ mit dem Monopol der Partei auf historische Legitimität. Morden ist für den Kommunismus Transsubstantiation. Im Blut des Klassenfeindes wird die klassenlose Zukunft geboren, wird die Utopie real. Durch Vernichtung zur Erlösung, durch Tod zum Leben. Alles, was ist, ist längst Vergangenheit, und die muß weg. Aber es lohnt sich. Die Welt ist voller Sinn. Der Fortschritt ist nicht aufzuhalten. Und je mehr Opfer ihm dargebracht werden, desto sicherer kommt er. Der Kommunismus steht im Zentrum der heilsgeschichtlichen Tradition des Abendlandes. Seine Hoffnung ist das apokalyptische Inferno.

Courtois und davor Gide und Koestler und Silone und Orwell und Buber-Neumann und Ruth Fischer und Solschenyzin und Camus und Morin und Furet haben uns gezeigt, daß für beide, den Nationalsozialismus und den Kommunismus, das gleiche heroische Ideal gilt: der mutige Mörder. Aber sie erklären uns nicht, warum wir in dem einen das Monster, in dem anderen den verlorenen Sohn erkennen. Dabei ist die Erklärung seit Jahrtausenden gewachsen: weil der nationalsozialistische Held ein hoffnungsloser, der kommunistische aber ein hoffnungsvoller Held ist, und weil wir seit Anbeginn in jener heilsgeschichtlichen Erwartung stehen, die uns der Kommunismus als säkularisiertes „Prinzip Hoffnung“ unerbittlich weiterreicht. Der Nationalsozialismus aber ist die ewige Wiederkehr des Gleichen, verspäteter Manichäismus, dumpf und düster, abwegig. Selbst wenn er uns als Wagner- Oper entgegensingt, bleibt er Häresie, Aberration und Abfall. Als rechtgläubige Konformisten pilgern wir auch in Zukunft nach Moskau zum Mausoleum des heiligen Wolodja mit den blutigen Händen.

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