: Erinnerungsarbeit als Prozeß
Was wird aus dem ehemaligen Frauen-KZ Ravensbrück? Die Ergebnisse eines landschaftsplanerischen Wettbewerbs liegen jetzt vor. Aber hinter den Plänen stehen große Fragezeichen. Die Finanzierung ist ungeklärt ■ Von Oliver G. Hamm
Berlin (taz) – Die Stadt Fürstenberg/Havel geriet 1991 in die Schlagzeilen, als bekannt wurde, daß nahe dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Ravensbrück ein Supermarkt gebaut werden sollte. Die weltweite Protestwelle und die Einsicht, daß sich dieser Ort nicht für eine Gewerbeansiedlung eignet, veranlaßte die Stadt, nach dreijähriger Vorbereitungszeit 1997 einen landschaftsplanerischen Ideenwettbewerb „Ehemaliges Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück“ auszuloben. Das Ergebnis liegt jetzt vor.
Am Wochenende wurden im Ernst-Reuter-Haus in Berlin die prämierten Entwürfe des Wettbewerbs vorgestellt. Der 1. Preis ging an die Berliner Landschaftsarchitekten Stefan Tischer und Susanne Burger mit dem Architekten Philipp Oswalt. In die künftige Gestaltung des rund 200 Hektar großen Lagerareals sollen aber auch Ideen von Bertel Kehlet Bruun, Hamburg (2. Preis), und F. Lohrberg, Stuttgart (3. Preis), einbezogen werden. Angesichts der Größe und Komplexität der Aufgabe in Ravensbrück und der spärlichen finanziellen Mittel bleibt allerdings die Frage offen, ob die 5.000-Einwohner-Stadt Fürstenberg mit dieser Aufgabe nationaler Bedeutung nicht hoffnungslos überfordert ist.
Mit dem Beitritt der DDR vor mehr als sieben Jahren fiel der Bundesrepublik Deutschland ein geschichtliches Erbe zu, dem sie sich bislang nur sehr zögernd angenommen hat: die Relikte ehemaliger Konzentrationslager der Nationalsozialisten und die zugehörigen „Nationalen Mahn- und Gedenkstätten“ der DDR in Buchenwald (Weimar), Sachsenhausen (Oranienburg bei Berlin) und Ravensbrück (Fürstenberg). Die weitverzweigten Lagerkomplexe einschließlich der ehemaligen SS- Kasernen und -Wohnsiedlungen sowie der in die Kriegsproduktion einbezogenen Industrieflächen sind nach dem Abzug der sowjetischen/russischen Truppen 1992/93 erstmals seit rund 50 Jahren wieder komplett zugänglich und für wissenschaftliche Forschungen verfügbar. Doch während die didaktische Neuorientierung auf den Arealen der drei großen ehemaligen Konzentrationslager in Ostdeutschland bereits weit vorangeschritten ist, schreitet der Verfall der ohnehin nur spärlich erhaltenen Bausubstanz voran. Im KZ Ravensbrück waren ab 1938 etwa 132.000 Frauen und 20.000 Männer inhaftiert; rund die Hälfte von ihnen wurde ermordet oder starb an den Folgen der unmenschlichen Lebens- und Zwangsarbeitsbedingungen. Von 1945 bis 1993 nutzte die Rote Armee den größten Teil des Lagerkomplexes als Kaserne. Die Wettbewerbsteilnehmer hatten nun Vorschläge für das 30 Hektar umfassende engere Lagergelände sowie für weitere 170 Hektar des Lagerkomplexes mit den Siemens-Werkstätten, dem Gelände des Jugend-KZ (und späteren Vernichtungslagers) Uckermark und einer früheren SS- Wohnsiedlung einzureichen. Bei dieser Aufgabe waren vor allem archäologisches Feingefühl und Erfahrung mit der didaktischen Gedenkstättenarbeit gefordert. Donata Valentien, die Vorsitzende der Wettbewerbsjury, formulierte es so: „Es ging darum, einen Rahmen abzustecken, der offen ist für Veränderungen, und gleichzeitig konkrete Schlüsselprojekte vorzuschlagen.“
Nach Auffassung der Jury gelang dies dem Berliner Trio am besten. Dessen Entwurf sieht vor, im „Stammlager“ die heute nicht ablesbaren Standorte der verschwundenen Häftlingsbaracken mit Hilfe schwarzer Schlacke sichtbar zu machen. Auf dem Areal der ehemaligen Siemens-Werkstätten sollen die Bodenplatten der ebenfalls abgebrochenen Produktionshallen erhalten werden, wie auch Relikte der von den Sowjets errichteten Hallen. Für das Gelände des Jugend-KZ sehen die Berliner ein blaues Blumenfeld vor; das Areal des 1944 dort eingerichteten Vernichtungslagers soll ausgespart bleiben. Der Entwurf sieht bewußt kein künstlerisches „Gesamtkonzept“ vor, sondern einen „offenen Prozeß der Erinnerung, Erforschung und Aneignung des Ortes“. Für das „Stammlager“ haben Tischer, Burger und Oswalt ein Szenario entwickelt, das bewußt vorsieht, die jeweiligen Interventionen sichtbar und nachvollziehbar zu machen. So soll auf dem Gelände einer ehemaligen Kohlehalde ein Schlackeberg aufgeschüttet werden, der mit dem Fortschreiten der Grabungsarbeiten abgetragen wird, da mit der Schlacke nach und nach die Grundflächen der ehemaligen Häftlingsbaracken nachgezeichnet werden.
„Die Visualisierung des Prozesses bringt die Unabgeschlossenheit der Erinnerungsarbeit zum Ausdruck“, schreiben die Entwurfsverfasser. Die große Stärke dieses Konzeptes – die Flexibilität und Veränderbarkeit – verweist aber auch auf eines der großen Fragezeichen, die hinter den Plänen für Ravensbrück stehen: Momentan ist überhaupt nicht absehbar, in welchen Zeiträumen die vorgesehenen Interventionen realisiert werden können. Bislang stehen der Gedenkstätte Ravensbrück lediglich zehn Millionen Mark für das Stammlager zur Verfügung. Wo die erheblichen zusätzlichen Mittel herkommen sollen, die notwendig wären, um das 200 Hektar große Gesamtareal bearbeiten zu können, ist ungeklärt. Hier wären, wie auch in Sachsenhausen, wo man vor ähnlichen Problemen steht, der Bund und das Land Brandenburg gefordert. Aber auch Sponsoren, zum Beispiel die Siemens AG, könnte sich für den Erhalt des ehemaligen Siemens-Lagers finanziell engagieren.
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