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Kippt Bremen den Lauschangriff?

Bürgermeister Scherf ist vom Kompromiß „enttäuscht“. Er fordert weitere Nachbesserungen, ohne die er dem Entwurf seine Zustimmung nicht geben will  ■ Aus Bremen Jens Tittmann

Der Bremer Bürgermeister Henning Scherf (SPD) bezeichnete den aktuellen Kompromiß zum Großen Lauschangriff gestern als „enttäuschend“. Nach Auskunft aus dem Bremer Rathaus fordert der Präsident des Senats für seine Zustimmung im Bundesrat jetzt sogar erstmals konkrete Nachbesserungen, die über den Beschluß des SPD-Bundesparteitages hinausgehen.

Zur Zeit sieht der Kompromiß vor, daß der Lauschangriff von Richtern genehmigt werden muß. Dazu Scherf: „Ich habe Zweifel, ob nur eine richterliche Abwägung über die Beweisverwertung die Zeugnisverweigerungsrechte von Journalisten, Rechtsanwälten, Ärzten und Drogenberatern tatsächlich so schützt, wie es verfassungspolitisch erforderlich ist.“

Für das Abhören dieser Personen gibt es in dem Kompromiß zwischen der Bonner Koalition und der Bundes-SPD kein sogenanntes Beweiserhebungsverbot, wie es für Pfarrer, Strafverteidiger und Abgeordnete gelten soll, die nicht abgehört werden dürfen. Alle anderen Berufsgruppen, denen bisher vor Gericht ein Zeugnisverweigerungsrecht eingeräumt wird, können dagegen nach richterlicher Abwägung abgehört werden. „Ich werde deswegen in den laufenden Beratungen den Kompromiß sehr genau abklopfen und die Diskussionen der kommenden Tage sehr genau verfolgen“, sagte Scherf. Im Klartext heißt dies nach Angaben aus dem Bremer Rathaus: Der Regierungschef stimmt ohne die Nachbesserungen im Bremer Senat gegen den Großen Lauschangriff. Die übrigen SPD- SenatorInnen werden sich seinem Votum anschließen. Laut Koalitionsvertrag mit der CDU muß sich das Bundesland dann im Bundesrat und gegebenenfalls im Vermittlungsausschuß der Stimme enthalten. Zusammen mit der SPD-FDP-Koalition in Rheinland- Pfalz und den vier rot-grünen Länderregierungen wäre dann die erforderliche Zweidrittelmehrheit für die Grundgesetzänderung nicht mehr gegeben. Der Große Lauschangriff droht damit an Scherfs Stimme zu kippen. Denn weder die Bundes- noch die Bremer CDU sind zu weiteren Kompromissen bereit. Das wiederum würde auch die große Koalition in Bremen gefährden, formulierte Innensenator Ralf Borttscheller (CDU) bereits in der vergangenen Woche. Seiner Meinung nach habe sich Scherf nun „genug profiliert“. Der sieht's gelassen: „Schließlich stehe ich mit meinen Einwänden nicht allein da.“

Der Rechtsausschuß des Bundestages hat dem Kompromiß unterdessen zugestimmt. Begleitet von anhaltender Kritik und bei mehreren Gegenstimmen wurde der Gesetzentwurf angenommen. Bündnis 90/Die Grünen bekräftigten ihre grundsätzliche Ablehnung und legten einen in der Fraktion beschlossenen Änderungsantrag vor, der allen Berufsgruppen mit Zeugnisverweigerungsrecht ein Abhörverbot zusichert. Die SPD- Fraktion will vor der für Freitag angesetzten Entscheidung über den Großen Lauschangriff im Bundestag noch einmal mit allen Abgeordneten diskutieren.

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