■ Die Wahrheit bittet um Ihre Mithilfe:: Kennen Sie Thomas?
In Ordnung, ich tu's. Alle meine Freunde haben gesagt, ich müsse darüber schreiben. Das sei lustig, und ich könne so meinen finanziellen Schaden minimieren. Also gut: Ich bin Opfer eines Beischlafdiebstahls geworden. Die klassische Variante: „Ich gehe mal eben Zigaretten holen...“ Aber der Reihe nach.
Überflüssig zu erwähnen, daß Alkohol im Spiel war. Klar, daß eine lange Nacht in einen neuen Tag zu münden drohte. Den Namen der Kneipe sage ich nicht. Ach was, darauf kommt es auch nicht mehr an: „Pick ab!“, Prenzlauer Berg, zugedacht dem homosexuellen Bevölkerungsanteil. Hier kann man einander im Rahmen gepflegter Gastlichkeit kennenlernen, um miteinander glücklich zu werden. Wer ein besonders drängendes Bedürfnis nach Glück verspürt, hat die Möglichkeit, das abgedunkelte Hinterzimmer zu nutzen. Der Name „Pick ab!“ bezieht sich also eigentlich nicht auf fremde Portemonnaies. Aber ich greife vor.
Personenbeschreibung: Thomas hat etwa schulterlange braune Haare. Wie aus meiner für gewöhnlich schlechtunterrichteten Erinnerung verlautet, hat er blaue Augen. Und eigentlich ist er ein guter Mensch. Jedenfalls verzögerte sich unser Aufbruch erheblich, weil er einem anderen, mit dem er die erste Hälfte des „Abends“ verbracht hatte, liebevoll erklären mußte, warum er für die zweite Hälfte nicht mehr zur Verfügung stehe. Wenn er reich war, der andere, ist er es geblieben.
Vielleicht hätte mich stutzig machen sollen, daß Thomas uns bei der Zu-mir-oder-zu-dir-Frage, ohne zu zögern, für meine Wohnung entschied. Aber wahrscheinlich war einfach seine Wohnung genauso unaufgeräumt wie meine, und ihm wäre das peinlich gewesen.
Vielleicht hatte er Angst, mit mir von seinem minderjährigen Mitbewohner ertappt zu werden. Oder er hatte im Schlafzimmer seine Autorennbahn aufgebaut. Wer konnte das wissen? Ich zahlte das letzte Bier, erwarb für eine Spende an die AIDS-Hilfe Beischlafbedarf und ließ ein Taxi rufen. Wir bestiegen das Taxi und fuhren zu mir. Ich zahlte das Taxi und holte die Zeitung aus dem Briefkasten. Die Zeitungen kommen ja auch immer früher.
Schnitt.
Als ich von der Toilette kam, traf ich ihn übertrieben bekleidet im Flur. Ich erwähnte bereits, daß er erklärte, Zigaretten holen zu wollen. „Wir haben noch Zigaretten“, erwiderte ich erstaunt. „Haben wir nicht!“ gab er überspannt zurück, versprach noch eilig, gleich zurückzukommen und ward nicht mehr gesehen.
Vielleicht hätte all das mich stutzig machen sollen. Aber Raucher sind manchmal so, wenn sie glauben, keine Zigaretten mehr zu haben. Eine halbe Stunde später begann ich, meine Wohnung auf den Kopf zu stellen. Immerhin konnte ich das Portemonnaie auch verlegt haben. Der Vorgang nahm einige Zeit in Anspruch, denn meine Wohnung sah gerade aus wie ein schlecht geführter Second- Hand-Laden mit Buchabteilung, in dem man auch günstig essen kann. Die Börse blieb verschwunden.
Der Mann, der die ec-Karten sperrt, war trotz der frühen samstäglichen Stunde sehr nett zu mir. Ebenfalls Zigaretten holen gegangen: Führerschein, Bahncard, Personalausweis, Monatskarte für die U-Bahn. Die 50 Mark Bares, nun ja, das wäre es mir wert gewesen.
Kennen Sie Thomas? Zögern Sie nicht, mir Meldung zu machen! Keine Skrupel: Ich gelobe, den jungen Straftäter lediglich behutsam zu resozialisieren. Ich will meine Papiere! Sonst erwartet mich ewiges Ämtergerenne mit vielen Gebühren. Und dann muß ich darüber auch noch schreiben. Weil das lustig sei und ich so meinen finanziellen Schaden minimieren könne. Holger Wicht
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