: Jutta Limbach wünscht sich mehr Auswahl
Das Bundesverfassungsgericht will freier entscheiden können, welche Klagen zur Verhandlung kommen. Doch nicht alle Karlsruher RichterInnen begrüßen die Reformpläne, die eine Entlastung bringen sollen ■ Aus Karlsruhe Christian Rath
Die Verfassungsbeschwerde soll an Bedeutung verlieren, und in Karlsruhe nimmt man dies billigend in Kauf. Präsidentin Jutta Limbach und weitere RichterInnen äußerten sich am Mittwoch abend positiv zu den Ideen einer Reformkommission, die Justizminister Schmidt-Jortzig eingesetzt hatte.
Die Kommission präsentierte im Dezember Vorschläge zur „Entlastung“ des Verfassungsgerichts (taz vom 13. 12. 1997). Im Mittelpunkt stand dabei die Idee, dem Gericht bei Verfassungsbeschwerden ein „Auswahlermessen“ zuzubilligen. Danach könnten die RichterInnen relativ frei entscheiden, mit welchen Bürgerklagen sie sich überhaupt beschäftigen wollen. Gleichzeitig sollen die aus drei Richtern bestehenden Kammern des Verfassungsgerichts abgeschafft werden. Diese Kammern haben bisher den Großteil der eingehenden Verfassungsbeschwerden abschließend entschieden. In Zukunft sollen auch Bürgerklagen nur noch in den beiden achtköpfigen Senaten behandelt werden. Nach Auffassung der Kommission erfordert diese Reform eine Grundgesetzänderung.
Jutta Limbach äußerte in einer ersten Stellungnahme „sehr große Sympathie“ für diesen Vorschlag. „Es ist gut, wenn die Senate selbst ihre Agenda bestimmen können“, erklärte Limbach, denn „so wird den Bürgern auch deutlich, daß die Verfassungsbeschwerde nur ein außerordentlicher Rechtsbehelf ist“. Abgeschafft sei die Verfassungsbeschwerde damit aber noch lange nicht, betonte Limbach. Ähnlich äußerten sich die Richter Dieter Grimm, der Karlsruhe in der Expertenkommission vertreten hatte, und Otto Seidl, der Vizepräsident des Gerichts. Eine offizielle Stellungnahme des Verfassungsgerichts wird allerdings erst in den nächsten Wochen erarbeitet.
Widerspruch gegen die Kommissionspläne meldete nur die Richterin Karin Graßhof an. Sie befürchtet, daß der individuelle Rechtsschutz „weit in den Hintergrund treten“ könnte. Die jetzt schon überlasteten Senate seien kaum in der Lage, noch zusätzliche Verfassungsbeschwerden zu entscheiden. Auch den Einwand Jutta Limbachs, angesichts der niedrigen Erfolgsquote von nur zwei bis drei Prozent sei der Rechtsschutz durch die Verfassungsbeschwerde ohnehin nicht überzubewerten, wies Graßhof zurück: „Wenn wir nicht mehr richtig kontrollieren, dann sinkt auch unsere präventive und erzieherische Wirkung.“
Daß eine Entlastung des Verfassungsgerichts erforderlich sei, darin waren sich die RichterInnen allerdings einig. Zwar sank die Zahl der Verfassungsbeschwerden von rund 6.000 im Rekordjahr 1995 auf knapp 5.000 im Vorjahr. Dies sei jedoch nur eine kurze Verschnaufpause. „Die Bürger in den neuen Ländern legen heute noch relativ wenig Verfassungsbeschwerden ein. Dies wird sich mit der Zeit sicher ändern“, prophezeite Vizepräsident Seidl.
Karin Graßhof präsentierte deshalb einen eigenen Entlastungsvorschlag. Sie will alle Fälle, in denen BürgerInnen sich über unsaubere Gerichtsverfahren beschweren, nicht mehr vom Verfassungsgericht entscheiden lassen. „Das würde uns sofort um zwei- bis dreitausend komplizierte Fälle pro Jahr entlasten.“ Nach Graßhofs Vorschlag sollen solche Grundrechtsbeschwerden künftig in einem verbesserten Rechtsweg von den Fachgerichten geklärt werden. In der Reformkommission war sie mit ihrem Vorschlag allerdings an den Ländern gescheitert. Diese fürchten erhöhte Kosten für die von ihnen finanzierte Fachgerichtsbarkeit.
Ob die Reform noch vor der Bundestagswahl in Angriff genommen wird, ist derzeit unklar. In der vorigen Woche hatte CDU- „Kronjurist“ Rupert Scholz gefordert, die Entlastung des Verfassungsgerichts solle „noch in dieser Legislaturperiode“ umgesetzt werden. Justiminister Schmidt-Jortzig hält diesen Zeitplan dagegen für zu ehrgeizig.
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