: „Heiliger Commercio“
Hamburgs heimliche Regierung: Die Handelskammer wird heute 333 Jahre alt ■ Von Florian Marten
Der „Rat eines Ehrbaren Kaufmanns“war überaus erbost: Da hatte sich der Senat im Herbst des Jahres 1665 doch erdreistet, Beschlüsse „in puncto commercii“zu fassen, ohne die kürzlich gegründete Kaufleute-Lobby vorher um Rat zu fragen! Schnell lenkte die Stadtregierung ein. Und so ist es seit der Gründung der Hamburger Handelskammer am 19. Januar anno domini 1665 geblieben.
Wenn heute abend Ortwin Runde zum Schnapszahljubiläum 333 über „Hamburg an der Schwelle zum nächsten Jahrhundert“parliert, dann ist das mehr als nur eine symbolische Geste. Der Erste Bürgermeister hält seine Antrittsrede vor der Nebenregierung und wird dabei artig auf die Hinweise eingehen, die Kammer-Präses Nikolaus Schües per Silvester-Ansprache der rot-grünen Stadtregierung mit auf den Weg gab.
Das kuschelige Verhältnis zwischen Kammer und Senatsgehege, in Hamburg schon baulich durch das gemeinsame Karree Rathaus und Kammer/Börse demonstriert, hat bis heute ganz erhebliche Auswirkungen auf die Hamburger Politik. Konsens, Ausgleich und Machtbalance standen im Mittelpunkt – und immer ging es dabei um günstige Rahmenbedingungen, wie der damalige Stadtchef Henning Voscherau 1990 als Gastredner zum 325jährigen Geburtstag der Kammer hervorhob: „Ohne Wirtschaft ist alles nichts. Dem heiligen Commercio diehnsamb heißt auch dem Publiko diehnsamb.“
Hamburgs Sozialdemokratie hat dieses eherne Grundgesetz schon vor Jahrzehnten fest verinnerlicht und damit jene Arbeitsteilung zwischen Kammer und Rathaus akzeptiert, die eine eigene Wirtschaftspartei fast überflüssig macht. Hamburgs Kaufleute stehen über den Parteien, was insbesondere die CDU erheblich schmerzt. Ohne diese Hamburger Besonderheit wäre die ausgelutschte SPD wohl nicht so dauerhaft im Amt geblieben.
Die Grundlage für diese Balance zwischen Wirtschaftsinteressen und politischer Macht wurde bereits 1665 gelegt, ja, sie war sogar Ursache für die Gründung der „Commerzdeputation“am 19. Januar 1665. Eine Handvoll Kaufleute hatte nicht länger hinnehmen wollen, daß der Senat r ihnen eine „Admiralität“vor die Nase gesetzt hatte. Diese Kriegsbehörde zog von den Kaufleuten ein „Convoygeld“ein, mit dem Hamburg zwei Fregatten zur Bewachung der Handelsflotte bauen wollte. Daran war gleich allerlei ärgerlich: Die Admiralität kassierte, wollte aber selbst entscheiden, was mit dem Geld zu machen sei. Und sie schlamperte mit dem Konvoischiffbau, obwohl die Ladungsverluste durch die Seeräuberei ständig zunahmen.
Die hanseatischen Wirtschaftsbosse des 17. Jahrhunderts wollten auf die selbstbestimmte Organisation ihrer Schiffahrt nicht verzichten. Mit der Commerzdeputation schuf sich deshalb die christliche Außenhandelskaufmannschaft ein schlagkräftiges Organ von sieben Männern, gewählt von der Voll-“Versammlung des ehrbaren Kaufmanns“auf sechs Jahre.
Nach anfänglichen Versuchen des politischen Stadtrats, die Commerzdeputation zur Selbstauflösung zu überreden, arrangierte sich das Stadtregiment mit der Nebenregierung. Man gestand ihr zu, einen Teil der Konvoi-Gelder selbst zu verwalten und achtete sehr auf friedfertige Kooperation. Bei allem, was den „heiligen Commercio“anging, war zuerst die Deputation zu hören. In der Regel sollte ihr Rat Richtschnur des städtischen Handelns sein. So geschah es – bis heute. Seite an Seite bauten Kaufleute und SPD-Senat in der wirtschaftswunderlichen Nachkriegsära Wohnungen, Fabriken und Atomkraftwerke, wobei die Handelskammer, in der Reeder und Kaufleute den Industriellen bis heute überlegen sind, sogar über ihren industriepolitischen Schatten sprang.
Leichte Verstimmungen zwischen Hinterteil und Vorderteil des Hamburger Machtzentrums zwischen Adolphplatz und Rathausmarkt gab es erst ab Mitte der 70er Jahre, als dem jungen Bürgermeistertechnokraten Ulrich Klose (SPD) plötzlich dämmerte, daß die guten alten Wachstumszeiten ein für allemal vorbei waren. Kloses Stopp für die ebenso unbezahlbaren wie gigantomanischen Pläne mit kompletter Unterelbeindustrialisierung, autobahnzerstörter City und einem Hochhauskranz rings um die Innenstadt hat die Kammer der SPD bis heute nicht so ganz verziehen.
Dies änderte sich auch 1981 kaum, als die tief zerstrittene Hamburger SPD Klaus von Dohnanyi als neuen Bürgermeister importierte. Der funktionierte zwar weitgehend brav an den Drähten der konservativen Wandsbeker Seilschaften, ließ die Kammerfunktionäre aber immer wieder seine intellektuelle und konzeptionelle Überlegenheit spüren.
Schlagartig besser wurden die Beziehungen allerdings 1988: Wie kein anderer Bürgermeister ließ sich der neue Stadtchef Voscherau von der Kammer beraten, zählte insbesondere den langjährigen Kammer-Präses und Holstenchef Klaus Asche zu seinem fast schon „väterlichen“Chefberater. Voscherau gab denn auch 1990 gerne zum besten, wie bei einer Reise der Hamburger Wirtschaft nach Dresden ein Kammervertreter den Ostrevolutionären das Hamburger Polit-System so erklärte: „Die eigentlich wichtigen Entscheidungen werden in der Kammer und nicht im Rathaus getroffen.“Der Kammergeschäftsführer Peter Möhrle lobte denn auch umgehend das „produktive Verhältnis“zwischen Wirtschaft und Senat, ein Dank, dem 1993 Taten folgten: Die Kammer half damals Voscherau äußerst erfolgreich, Rot-Grau statt Rot-Grün zu etablieren.
Trotz ihres öffentlichen Gepolters gegen Rot-Grün und ihres aussichtslosen Kampfs für eine Große Koalition hatte sich die Kammer aber schon lange vor der jüngsten Bürgerschaftswahl an den Gedanken an eine neue politische Konstellation gewöhnt; die GAL-Spitzen wurden zu ausführlichen Kontaktgesprächen geladen. Dennoch geht in Teilen der Kammer heute die Angst um, man könne in Zukunft den politischen Anschluß verlieren. Bei SPD und Grünen sind jetzt Kräfte in der Verantwortung, die zu der Kammer ein sachlich-distanziertes Verhältnis haben.
Und trotz aller bemühten Überparteilicheit und Modernität muten viele Vorschläge aus den heiligen Hallen der Handelskammer heute etwas muffig und verstaubt an. So sollen etwa verkehrspolitische Konzepte der 60er Jahre oder der ungenierte Verbrauch der letzten Hamburger Freiflächen für einstöckige Gewerbeschuhkartons den Weg ins dritte Jahrtausend weisen.
Ob aber Ortwin Runde mit diesem Forderungsballast die Schwelle zum nächsten Jahrtausend überspringen möchte – darauf ist nicht nur die Kammer gespannt.
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