: "Daran hängt unser Herz"
■ Ungeachtet der Schließungswelle bei den Goethe-Instituten im Ausland ist ein neues eröffnet worden: in der vietnamesischen Hauptstadt Hanoi. In diesen Tagen nimmt es seinen Betrieb auf
Das Haus an der Hang Duong 54–56, einer der engen Hauptverkehrsstraßen durch die Hanoier Altstadt, fällt ziemlich aus dem Rahmen. Es ist ganz neu mit sauber-weißer Fassade und höher und breiter als alle anderen Häuser ringsum. Und es ist kein Hotel, auch kein Geschäft mit Auslagen bis auf den Bürgersteig, erst recht keins für Hosen, Kleider oder Schuhe, die es überall links und rechts und vis-à-vis zu kaufen gibt. Hier dagegen nur ein großes blankes Schaufenster mit Eingangstür, daneben sogar noch die Einfahrt zu einer weiträumigen Garage im Gebäudeinnern. Nicht anders der Eindruck an der Cha Ca, der Parallelstraße, bis zu der sich das schmucke Haus erstreckt. Auch hier: ein gebautes Stück Ausnahme von der Regel des Erscheinungsbilds der altstädtischen Straßenzeilen Hanois – und unverkennbar eines der besseren Sorte. „Ja, es ist schon eine der repräsentativeren Einrichtungen unter den Goethe-Instituten“, meint Joachim Sartorius, Generalsekretär der insgesamt 141 Institute in 76 Ländern. Sogar „eines der repräsentativsten überhaupt“, so sieht es Friedrich Winterscheidt, der Institutsleiter. Eindeutig die Nummer eins ist sein Haus jedenfalls unter den allerdings noch wenigen ausländischen Kultureinrichtungen in der vietnamesischen Hauptstadt. Im Sommer, kurz nach seinem Dienstantritt, war Winterscheidt auf das Gebäude aufmerksam geworden: Neu und einladend, zudem in bester Lage, stand es auffällig leer. Als Eigentümer stellte sich die Kommunistische Partei heraus. Der war selbst sehr dran gelegen, das Haus endlich vermieten zu können, nachdem ein ursprünglich vorgesehenes Shopping Center nicht zustandekam. Schwieriger als die Verhandlungen mit dem Vermieter war die „lange Überzeugungsarbeit“, die Winterscheidt gegenüber der Institutszentrale, dem Auswärtigen Amt und den Bundesbaubehörden zu leisten hatte. Und selbst als die schließlich zustimmten, „rechnete in München und Bonn noch kein Mensch damit, daß ich das bis Ende 97 noch schaffe“.
Friedrich Winterscheidt ist nach Riga (Lettland) zum zweiten Mal mit dem Aufbau eines Goethe-Instituts betraut. Plötzlich mußte alles sehr schnell gehen. Staatsminister Werner Hoyer hatte außer am 22.12. keine Termine frei, um regierungsoffiziell zu eröffnen, worum er lange mit der vietnamesischen Regierung verhandelt hatte.
Das Goethe-Institut gehörte zum Deal um die Rückkehr von rund 40.000 Vietnamesen aus der Bundesrepublik, zu der man Hanoi zu verpflichten trachtete. Das Projekt hing also am seidenen Faden des „Abschiebeabkommens“, mit dessen Abschluß es grünes Licht gab. Weshalb Hoyer sich das eine wie das andere auf die Fahnen schreibt und sein Terminkalender den Eröffnungszeitpunkt bestimmte.
Es kostete das Ausbleiben so mancher Gäste und Medienvertreter aus Deutschland, die so kurz vor Weihnachten anderes im Kopf hatten als den bemerkenswerten Umstand, daß es bei den Goethe- Instituten derzeit eben nicht nur zu Schließungen kommt. Um so emphatischer die Dankbarkeit und Freude, die Sartorius und Winterscheidt bei der Eröffnungsfeier kundtaten – auch Staatsminister Hoyer selbst, der nicht zuletzt mitverantwortlich für die Mittelkürzungen bei der auswärtigen Kulturpolitik ist. Da bekamen auch die einheimischen Festgäste, unter ihnen Vietnams Kulturminister Nguyen Khoa Diem, eine Ahnung von der Besonderheit der Situation, ja der Sonderrolle, die ausgerechnet ihrem Land, ihrer Stadt zugefallen war, als der Generalsekretär erklärte: „Wir haben in diesem Jahr fünf Goethe-Institute schließen müssen – und eines eröffnen können: in Hanoi. Daran hängt jetzt unser Herz!“
Die Gäste bewiesen ihrerseits Anhänglichkeit: Für vietnamesische Verhältnisse ausgesprochen lange und aufmerksam nahmen sie am Eröffnungsprogramm beider Tage teil. Viele Vietnamesen haben Deutschland selbst kennengelernt: als Studenten oder Doktoranden, als Auserkorene für längere Arbeits- oder Studienaufenthalte. Oftmals ist das mehr als zwanzig Jahre her. Für die allermeisten, heute vielfach arrivierte Lehrer, Wissenschaftler oder Funktionäre, war Deutschland allerdings allein die DDR. Halle, Leipzig, Dresden werden da oft genannt – und natürlich Moritzburg, deren ehemalige Absolventen in Hanoi noch heute eine Art Club bilden. Es ist ein „Erbe in den deutsch-vietnamesischen Beziehungen“, das mit der Wiedervereinigung 1989 auch der Seite zugefallen ist, die dazu kaum etwas beigetragen hatte. Ein Erbe, auf das sich der aus der ehemaligen westdeutschen Hauptstadt angereiste Minister jetzt ausdrücklich positiv bezieht.
Ihm und den anderen deutschen Rednern haben denn auch viele der einheimischen Festgäste schon folgen können, bevor der Dolmetscher an der Reihe war. Da trat bei der Diskussion mit dem Publikum sogar einer auf, der plötzlich „Am Brunnen vor dem Tore“ zu singen begann. Eine Spielart des „Kulturaustauschs“, die jener nicht nachstand, die das zum Eröffnungsprogramm eingeladene Ensemble „Grüner Lotus“ von der Hanoier Musikakademie zum besten gegeben hatte: Mitten im Programm klassischer vietnamesischer Volksmusik spielte es mit seinen traditionellen Instrumenten das freilich nicht sehr deutsche „La Paloma“.
Die Vermittlung der deutschen Sprache steht, wie überall bei „Goethe“, im Mittelpunkt des Alltags. „Die Sprache zu lernen ist der beste, intensivste Zugang zur Kultur“, sagt Sartorius; und Winterscheidt hat keine Zweifel, daß dies in Hanoi auf eine große Nachfrage stößt. Vier Klassenräume stehen im Haus zwischen der Hang Duong und Cha Ca zur Verfügung, und in Kürze wird das erste Kursangebot ausgeschrieben. Dann beginnt auch der Aufbau der Bibliothek. 2.000 Titel umfaßt der institutsübliche Grundbestand; auf 12.000 soll sie dann nach und nach anwachsen. Ein Lesesaal mit aktuellen Zeitschriften wird ebenso dazugehören wie eine Mediothek samt Internetanschluß. Die freie, uneingeschränkte und unkontrollierte Zugänglichkeit war übrigens einer der Knackpunkte bei den Verhandlungen über die Einrichtung des Goethe-Instituts in Hanoi, das ja keine förmliche Einrichtung der Bundesregierung ist und insofern auch keine von diplomatischem Status. Das mußte, wie Sartorius und Winterscheidt sagen, den vietnamesischen Behörden erstmal abgerungen werden – ebenso die Zusicherung der Programmautonomie. Daß man ansonsten den im Land geltenden Gesetzen unterliegt, „das ist nun mal so, nicht nur in Hanoi“.
Das meint, hier mehr als anderswo, auch die staatliche Zensur. Eine entsprechende Kommission kam kurz vor der Eröffnung ins Haus, um über die Freigabe der beiden Ausstellungen – über Heinrich Böll und Collagen der Dada- Künstlerin Hannah Höch – zu befinden. Probleme gab es keine. Wann, wo und warum Zensur ausgeübt wird, ist unberechenbar. Davon können einheimische Künstler ein Lied singen. Als ausländische Kultureinrichtung sieht sich dessen Leiter in einer besseren Position: „Man müßte uns gegenüber ja begründen, warum wir irgendetwas sein lassen sollen, irgendetwas bei uns nicht stattfinden darf. Und das würde ja immer zu einem kleinen Politikum...“
Da freuen sich schon einige auf den Freiraum, den das Goethe-Institut bieten kann. Zum Beispiel die Bielefelder Künstlerin Veronika Radulovic, die seit 1994 regelmäßig Gastdozentin des DAAD an der Hanoier Kunsthochschule ist und so manchen Kulturaustausch schon initiiert hat. Sie will das Institut auch als „Experimentierfeld“, in dem stattfinden könnte, was andernorts in Hanoi noch nicht möglich ist. So was brauche gerade die jüngere Szene, das werde sie fördern und beflügeln. Von „Freiraum“ spricht auch Friedrich Winterscheidt, sieht seine künftige Programmarbeit aber doch eher als „Gratwanderung“: Er darf sich Goodwill und Kooperationsbereitschaft offizieller vietnamesischer Stellen ja nicht verscherzen, ist darauf so angewiesen wie auf die Berücksichtigung konkreter Bedürfnisse des interessierten Publikums. „Wir haben viele Erwartungen an das Goethe- Institut“, hat bei der Einweihungsfeier auch Le Huy Van, Leiter der Design-Hochschule und selbst Ex- DDR-Studierter, gesagt und freimütig hinzugefügt: „Aber wir wissen nicht, ob sie auch Geld dafür haben. Davon hängt ja viel ab. Wir selbst sind doch ein armes Land.“ Da wurde gelacht und geklatscht. Aber Geld war in den Eröffnungstagen noch kein Thema.
Diesbezüglich zeigt sich Friedrich Winterscheidt auch ganz gelassen: „Unser tolles Haus werden wir gut bespielen können.“ Vielleicht stimmt es ihn doch etwas zuversichtlich, daß sein Generalsekretär in Zeiten der Mittelkürzungen und Institutsschließungen der Meinung ist: „Lieber etwas weniger, dafür schlagkräftige Institute halten, als viele langsam auszudünnen oder kaputtzusparen.“ Ausgedünnt ist bei Winterscheidts, die oben unterm Dach des deutschen Kulturzentrums wohnen, vorerst nur der Bestand ihrer Haustiere: Bei Ankunft ihrer Sachen auf dem Flughafen, vier Hunde inklusive, entschwand einer aus der Box, wurde in einer Großaktion gesucht und bald auch gefunden – frisch erlegt und gehäutet, wartend auf den Kochtopf, der in Vietnam durchaus üblichen Endstation für herumstreunende Vierbeiner. Niko Ewers
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