: Wenn das Wohnhaus zum Kraftwerk wird
■ In Freiburg entsteht die erste Siedlung aus stromproduzierenden „Plus-Energiehäusern“
Freiburg (taz) – 150 Freiburger Familien werden künftig in kleinen Kraftwerken wohnen. Ein furchtbarer Gedanke? Keineswegs. Denn die Kraftwerke sind Wohnhäuser. Genauer: moderne Reihenhäuser, die mittels Solarzellen mehr Energie erzeugen als die Hausbewohner verbrauchen – Heizung und Warmwasser inklusive. Nach Niedrig- und Null-Energiehaus erfanden Architekten nun das „Plus-Energiehaus“.
Planer der Solarsiedlung ist der Freiburger Solararchitekt Rolf Disch. Die Bezeichnung „Plus- Energiehaus“ ließ er bereits als Warenzeichen eintragen. Nächste Woche beginnen die Bauarbeiten am Schlierberg, an der südlichen Stadtgrenze Freiburgs.
Der Gedanke, ein Plus-Energiehaus zu bauen, mag absurd erscheinen – doch er ist realistisch. Zum einen setzt Architekt Disch auf beste Isolierung. Während die heutige Wärmeschutzverordnung bei Neubauten noch bis zu 10 Liter Ölverbrauch pro Quadratmeter im Jahr duldet und Häuser mit 6,5 Litern bereits als Niedrig-Energiehäuser gelten, kommen die Häuser am Schlierberg mit einer Energiemenge aus, die nur einem Liter Öl pro Quadratmeter entspricht. Ein Blockheizkraftwerk deckt diesen geringen Wärmebedarf.
Die Berechnungen für die Solarsiedlung lassen selbst ambitionierte Niedrigenergie-Siedlungen reichlich verschwenderisch aussehen. Ein Vier-Personen-Haushalt am Schlierberg wird für seine 137 Quadratmeter Wohnfläche gerade 1.310 Kilowattstunden Heizenergie pro Jahr brauchen, das Äquivalent von 130 Litern Heizöl. Den Energieverbrauch für Warmwasser kalkuliert Architekt Disch mit 1.437 Kilowattstunden jährlich, für den Stromverbrauch aus dem Netz setzt er 4.000 Kilowattstunden Primärenergie an. In der Summe bezieht der Haushalt folglich weniger als 6.800 Kilowattstunden im Jahr. In derselben Zeitspanne aber speist die Solaranlage auf dem Dach eine Strommenge ins Netz, die 12.400 Kilowattstunden Primärenergie entspricht. Die Gesamtbilanz: Gut 5.600 Kilowattstunden werden pro Jahr im Haus erzeugt – ein kleines Kraftwerk.
Die Realisierung des zukunftsweisenden Bauprojektes hat Disch der Instag AG übertragen, einem Unternehmen des Musical-Managers Rolf Deyhle. Der Clou: Die Quadratmeterpreise dieser Reihenhäuser liegen nicht höher als in Freiburg üblich. Entsprechend ist die Nachfrage enorm: Die 150 Wohnungen wurden erst kurz vor Weihnachten angeboten, und es gibt bereits fünfmal so viele Interessenten.
Viele Käufer finden auch Gefallen am ökologischen Gesamtkonzept. Regenwasser wird am Schlierberg genutzt, Abwasser und Bioabfälle sollen über Vakuumtoiletten entsorgt und in einem Biogasreaktor mit Blockheizkraftwerk energetisch verwertet werden. Und schließlich gehört auch ein modernes Verkehrskonzept dazu: Auto-Stellplätze werden nur außerhalb der Siedlung angeboten, das Gelände bleibt autofrei.
Als externes Projekt der Expo 2000 wurde die Solarsiedlung inzwischen angenommen – und wird damit Freiburgs Ruf als Solarstadt retten. Denn weil es derzeit nur symbolische Zuschüsse für die Nutzung der Sonnenenergie gibt, ist die einstige Solarhauptstadt in den vergangenen zwei Jahren bei der Nutzung von Solarzellen auf einen Platz jenseits der ersten zehn bundesweit zurückgefallen. Gerade Solarzellen für 47 Kilowatt Leistung wurden in Freiburg in den Jahren 1996 und 1997 installiert. Mit der Solarsiedlung und ihren 750 Kilowatt wird sich die Leistung der Freiburger Solaranlagen gegenüber fast verdreifachen. Bernward Janzing
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