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"Ich dachte, ich bin die Verrückte"

■ Der Rentenantrag einer Erwerbslosen entwickelt sich zur Farce. Die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte verschickte am gleichen Tag zwei völlig widersprüchliche Schreiben Von Tobias Riegel

Von Tobias Riegel

Zwei Briefe, ein Ausgangsdatum, ein Absender – und die Behörden-Farce ist perfekt. Irritiert zeigt Susanne K.* zwei Schriftstücke, die beide am 17. 12. 97 die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) verließen. Sie markieren einen absurden Höhepunkt um den Antrag der 44jährigen Erzieherin auf Erwerbslosenrente.

Diese wird, wie von mehreren Ärzten bestätigt wurde, seit Jahren von schweren depressiven Krisen heimgesucht. Nachdem diverse Anträge auf Rehabilitationskuren erfolglos blieben und sie aus Krankheitsgründen bereits mehrere Arbeitsplätze verlor, entschloß sie sich schließlich, die Rente zu beantragen. Eine Erwerbslosigkeitsrente wird von der Bundesversicherungsanstalt für maximal fünf Jahre gezahlt, wenn – wie im Fall von Susanne K. – Rehabilitationsmaßnahmen als nicht aussichtsreich angesehen werden.

Der eine Brief, zugestellt am 24. 12. 1997, enthält die Ablehnung des letzten von K. gestellten Antrags für eine Rehabilitationskur: „Bei Art und Schwere Ihrer Gesundheitsstörung ... ist leider nicht zu erwarten, daß ... die bereits bestehende Erwerbsunfähigkeit beseitigt werden kann“, schreibt dort eindeutig die Reha-Abteilung der BfA.

Da sich ein wegen mangelnder Erfolgsaussichten abgelehnter Reha-Antrag normalerweise automatisch in einen Rentenantrag wandelt, schien alles klar. „Ich dachte, damit hätte dieses ewige Tauziehen ein Ende“, beschreibt K. ihre damalige Erleichterung.

Doch dann kam eine Woche später Brief Nummer zwei, dieses Mal aus der Rentenabteilung der BfA und ebenfalls mit Datum vom 17. 12. 1997. Inhalt: die Ablehnung des Rentenantrags. Die Abteilung war bei der Prüfung der Sachlage zu einem ganz anderen Ergebnis gekommen: „...Sie sind daher weder berufsunfähig noch erwerbsunfähig...“, lautet die Begründung für die Absage.

„Wie die mit Labilen und Kranken umgehen, schreit zum Himmel“, schimpft Susanne K. „Und ich dachte, ich bin hier die Verrückte.“ Den ersten Antrag auf Rehabilitation hatte sie bereits 1994 gestellt: „Vor drei Jahren! Dieses Warten hat mich sehr zermürbt“, empört sich K., die seit 1988 mehrere schwere Psychosen durchgemacht hat und schon in diverse Krisenstationen eingeliefert wurde. „Inzwischen brauche ich dringend die Rente.“

Die BfA kann sich das alles nicht erklären. Als „kurios“ und „mehr als mysteriös“ bezeichnet etwa Ralf Kleene, Sachbearbeiter des Falles in der Rentenabteilung, die von seiner Behörde herbeigeführte Situation. In bekannter Ämter-Manier wird der Schwarze Peter nun im Haus herumgereicht: „Der Bescheid zur Reha-Maßnahme hätte das Haus nicht verlassen dürfen“, sagt Kleene.

Das sieht die Reha-Abteilung der Versicherungsanstalt anders: „Das hat sich einfach nur unglücklich überschnitten“, sagte Mitarbeiterin Maria Sarneki zur taz. Die Reha-Abteilung habe inzwischen eine Überarbeitung des ablehnenden Rentenbescheids dringend angemahnt.

„In den nächsten zwei Wochen sollte Frau K. etwas von uns hören“, so die Mitarbeiterin. Das Spiel geht also weiter. Auf Kosten von Susanne K.

*Name von der Redaktion geändert

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