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TU ringt um die Fachbereiche

■ Der Akademische Senat der TU entscheidet heute über eine neue Fakultätsstruktur. Kritiker bezweifeln, ob die Hochschule nach dem Schrumpfen noch den Namen Universität verdient

Die Lage ist ernst. So ernst, daß die Mitglieder des Akademischen Senats (AS) der Technischen Universität (TU) sogar auf die akademische Viertelstunde verzichten müssen: Punkt 17 Uhr werden sie heute nachmittag durch den Seiteneingang an der Jüdenstraße das Rote Rathaus betreten – unter Polizeischutz.

Was die Gemüter so erhitzt, liest sich auf der Tagesordnung ganz unspektaktulär. Doch die „strukturellen Veränderungen in der Technischen Universität Berlin 1997/98“ haben es in sich: Von 540 auf 320 Professuren muß die TU abspecken. Anders als seine Kollegen an den anderen Unis hat TU-Präsident Hans-Jürgen Ewers die Stellenschrumpfung mit einer Neugliederung der Fachbereiche verbunden. Um die knappen Finanzen künftig nach Leistung vergeben zu können, müßten zunächst große und leistungsfähige Fachbereiche entstehen. Dabei wollte der Ökonom Ewers der Technik den Vorrang einräumen und die Natur-, Geistes- und Sozialwissenschaften mit „hohen Synergismen“ darauf ausrichten.

Inzwischen ist von den großen Plänen des Präsidenten, präzisiert von einer „Präsidialkommission“, wenig geblieben. Heute abend wird wohl die konservativ-liberale Mehrheit, nach der Sitzordnung auch „Fensterfraktion“ genannt – mit 13 gegen 12 Stimmen eine Fakultätsstruktur verabschieden, die ziemlich genau auf das Gegenteil der präsidialen Pläne hinausläuft. Geistes-, Natur- und Wirtschaftswissenschaften sollen als Grundlagenfächer jeweils eine eigene Fakultät erhalten, die übrigen Fächer hingegen wollen die Konservativen zu fünf anwendungsorientierten Fakultäten zusammenfassen. In gemeinsamen Fachbereichen mit den Ingenieurwissenschaften hätte den Grundlagenfächern nach Ansicht der AS-Mehrheit die einseitige Ausrichtung auf den jeweiligen Kooperationspartner gedroht.

Innovative Ansätze würden durch dieses Konzept gekappt statt gestärkt, fürchtet hingegen die oppositionelle Reformfraktion. Thomas Koegstadt, studentischer Vertreter in der Präsidialkommission, nennt Beispiele: So drohe die Zusammenlegung des Bereichs Verkehrswesen mit dem Maschinenbau, diesen wieder auf reine Verkehrstechnik zu beschränken. „Konzepte zur Verkehrsvermeidung fallen dann weg“. Auch drohe die soziale Komponente der Stadt- und Regionalplanung bei einer Fusion mit der Architektur verlorenzugehen. Die geplante naturwissenschaftliche Fakultät schließlich habe kaum Chancen, sich in der Gesamtberliner Spardebatte gegen Freie und Humboldt- Universität zu behaupten, weil sie jedes TU-spezifische Profil vermissen lasse.

Die Lehrerbildung aber kommt selbst im Strukturplan der Reformfraktion nur noch als Fußnote vor. Weil er sich von den eigenen Fraktionsgenossen verlassen sah, hat sich der Jugendsoziologe Manfred Liebel inzwischen aus dem AS zurückgezogen. „Auch die Reformfraktion akzeptiert inzwischen den Primat der Technik“, klagt Liebel, „sie begibt sich in eine Falle.“ Es sei nie wirklich gelungen, den aus der Auflösung der Pädagogischen Hochschule entstandenen Fachbereich „in die TU zu integrieren“. Der gesellschaftskritische Ansatz der Pädagogen sei den Technikern ein Dorn im Auge. Die Frauenbeauftragte Heidemarie Degethoff de Campos beklagt, die TU werde „auf einen Schlag die Hälfte ihrer Professorinnen verlieren“. Der Anteil der Studentinnen drohe unter die „kritische Masse“ von 30 Prozent zu sinken.

Der Gründungsauftrag, anders als die frühere Technische Hochschule Charlottenburg keine bornierten Techniker mehr heranzuziehen, lasse sich angesichts des geistes- und sozialwissenschaftlichen Schrumpfprogramms „irgendwann nicht mehr erfüllen“, fürchtet Studentenvertreter Koegstadt. Inzwischen behandelten viele Ingenieure selbst die Naturwissenschaften als „überflüssige Grundlagenfächer“. „Der Kampf um die letzten Fachgebiete hat begonnen“, glaubt Koegstadt, „als nächstes werden die Geisteswissenschaften dran sein.“

Der Mathematiker Kurt Kutzler hingegen beteuert, solche Gedanken lägen der AS- Mehrheit fern. Daß „Geschichts-, Sprach- und Kommunikationswissenschaften unverzichtbar“ seien und „jede größere Wissenschaft auch ihren eigenen Studiengang haben muß“, darüber sei sich die „Fensterfraktion“ einig. Wenn deren Konzept heute abend beschlossen wird, seien aber „Nachbesserungen“ noch möglich. Das große Feilschen steht ohnehin noch bevor: Bis Ende März muß entschieden sein, wie sich innerhalb der neuen Fakultäten die verbleibenden Stellen verteilen. Auch Gebäude stehen dann zur Disposition. TU-Kanzler Ulrich Podewils will zunächst Mietflächen aufgeben. Auch die Option, Immobilien zu verkaufen, halte sich die TU „offen“. Ralph Bollmann

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