Freundlich, aber auch unnachgiebig

Flüchtlingspastor Frenz geht in Rente, aber sicher nicht in den Ruhestand  ■ Von Elke Spanner

Wie alt er geworden ist, erkennt Helmut Frenz auf einem kleinen Foto von Salvador Allende, das in seinem Büro hängt. „Erkennen Sie, wer das ist?“fragt er und seufzt, „heutzutage“wisse das niemand mehr. Frenz zeigt mit seiner Pfeife auf das Foto, und ein gerührtes Lächeln überfliegt sein Gesicht. Al-lende steht für Helmut Frenz nicht nur für die zehn Jahre seines Lebens, die er in Chile verbrachte, sondern auch für den aufregendsten Teil seiner Dienstzeit, die nun zu Ende geht. Pastor Helmut Frenz geht am nächsten Wochenende in Rente.

In den Ruhestand aber wohl kaum. Frenz ist Flüchtlingsbeauftragter der Nordelbischen Kirche, auch „Flüchtlingspastor“genannt. „Was ich jahrzehntelang gemacht habe, kann ich doch jetzt nicht einfach aufgeben“, sagt er, und es klingt, als bedeute der Ruhestand lediglich den Wechsel von der bezahlten zur ehrenamtlichen Flüchtlingsarbeit.

Doch etwas ausruhen will er sich schon. Frenz spricht von einer „Sommerpause“, will erst mal Abstand nehmen. Zum Beispiel seine Kinder besuchen. Was sich nach einem kurzen Abstecher anhört, bringt für Frenz eine kleine Weltreise mit sich. Er hat neun Kinder, und die leben über die ganze Welt verteilt, in Mexiko, Spanien, Frankreich und Belgien.

Ständige Begleiterin des Flüchtlingspastors ist seine Pfeife. Mal nutzt er sie als Zeigestock, mal unterstreicht er damit seine Gesten. Die pausenlose Beschäftigung mit seiner Pfeife, das Rauchen, das Stopfen, Anzünden, Ausklopfen und wieder Stopfen konterkariert die Ruhe in seinen Worten und die Ruhe, die sein Gesicht ausstrahlt. Hochkonzentriert lauscht er jedem Wort, korrigiert unnachsichtig jeden kleinen Fehler. Und wirkt dennoch nicht wie ein Perfektionist, sondern wie jemand, der selbst viel zu erzählen hat. Der das Interesse, das er dafür erwartet, aber auch seinem Gegenüber entgegenbringt.

Vermutlich schon im März soll Frenz in Madrid vor dem Gericht aussagen, das gegen den ehemaligen chilenischen Diktator Augusto Pinochet den Prozeß wegen Völkermord, Mord und Folter führt. Dafür wird er seine Kisten vom Boden holen, auf denen „Chile“steht. „Daraus wird sich einiges ergeben, da gibt es viel aufzuarbeiten.“Die Ära Pinochet war auch die Ära von Helmut Frenz in Chile.

1965 zog der Pastor in das lateinamerikanische Land. Dort war er zum einen Gemeindepastor, zum anderen arbeitete er unter Allende im „Komitee zur Verteidigung der Menschenrechte“. Pinochet benannte das Komitee nach dem Militärputsch um in „Komitee der Zusammenarbeit für den Frieden in Chile“. Mit bis zu einhundert MitarbeiterInnen dokumentierte Frenz die Geschichte von Folteropfern in Chile. Verschwundenen recherchierte er hinterher, oftmals stellte er schließlich deren Ermordung fest.

Auch Frenz und seine MitarbeiterInnen lebten ständig in Gefahr. Ein „Tiefpunkt, ein moralischer Tiefpunkt“in der ständigen Konfrontation mit Folter und Tod tritt ihm vor Augen, so eindrücklich, als wäre es gestern und nicht vor 25 Jahren gewesen: Eines Tages übernahm ein Kollege kurzfristig einen Auftrag für ihn, weil Frenz selbst verhindert war. Zwei Tage später wurde der Kollege tot aufgefunden. „Ich dachte: Da hättest jetzt eigentlich Du gelegen.“

„Niemand“, sagt der Pastor, „niemand soll sagen können, er habe von der Folter und den Morden nicht gewußt“. Damit erklärt er auch seine regelmäßigen Besuche beim chilenischen Innenminister. Auch Pinochet höchstselbst suchte er eines Tages auf. Zeigte ihm seine Mappe mit der Dokumentation der Greueltaten. Und bekam unerwarteterweise eine Rechtfertigung zu hören. „Das war das erste Mal, daß ein Staatspräsident die Folter nicht leugnete, sondern rechtfertigte.“Frenz ist noch heute verblüfft. Auch darüber will er dem Gericht in Madrid berichten. „Er kann nicht sagen, er wußte nichts von der Folter“, sagt Frenz, und seine Augen blitzen triumphierend.

1975 durfte der Kirchenmann nach einem seiner regelmäßigen Besuche bei der Menschenrechtskommission der UNO in Genf nicht wieder nach Chile einreisen. Es war ein „bitterer Einschnitt“in seinem Leben. Er wurde Pastor in Bramfeld, 1987 ging er als Generalsekretär zu amnesty international nach Bonn. Amnesty verließ er nach zehn Jahren im Alter von 55 Jahren. Daran schloß sich eine Zeit an, die Frenz im Rückblick als „ganz, ganz schlimme Niederlage“empfindet: die Zeit, als er Pastor in der Schalom-Gemeinde in Norderstedt war, jener Kirche, die von Flüchtlingen und UnterstützerInnen besetzt wurde. Erstmals in seinem Leben mußte sich Frenz vorhalten lassen, Flüchtlinge im Stich gelassen zu haben. Das war 1991, als 68 Menschen aus aller Welt in die Schalom-Kirche kamen. Eigentlich waren sie nach Greifswald verteilt worden, doch dort wurden sie von Rechtsradikalen überfallen. Sie flohen in die Schalomkirche, denn Pastor Helmut Frenz war als Linker bekannt.

Frenz fühlte sich seiner Biographie verpflichtet, doch zugleich rutschte er zwischen alle Stühle, bis er schließlich auf der Seite der Landesregierung Platz nahm. Die SPD wollte, daß die Flüchtlinge nach Mecklenburg-Vorpommern gehen, die wollten das nicht. Frenz hielt die Umverteilung in den Osten für angemessen, „ohne den Fremdenhaß auf dem Gebiet der ehemaligen DDR verharmlosen zu wollen“. Die Situation spitzt sich zu. Flüchtlinge und UnterstützerInnen fühlen sich verraten, Frenz sich erpreßt. Ultimaten werden gesetzt, sie laufen ab. Nur eines ist klar: Einen gemeinsamen Weg gibt es nicht.

Erst gehen die BesetzerInnen. Vier Monate später geht Frenz. In seiner Abschiedspredigt sagt er: „Sonst heißt es immer, man geht mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Ich gehe mit zwei weinenden Augen.“

Frenz wird Flüchtlingsbeauftragter der Nordelbischen Kirche. Die Frage, wie er vor dem Hintergrund seiner jahrzehntelangen Erfahrung die bundesdeutsche Flüchtlingspolitik beurteilt, beantwortet er mit der Überschrift seines Jahresberichtes 1997, der zugleich sein Abschlußbericht ist: „Vom staatlichen Schutz der Flüchtlinge zum Schutz des Staates vor Flüchtlingen – Die Perversion der Flüchtlingspolitik.“