Die kranke Welt wartet auf Doktor Gro

■ Hartnäckig hat Norwegen für die Kandidatur Gro Harlem Brundtlands als neue Chefin der Weltgesundheitsorganisation geworben

Oslo (taz) – „Gro for WHO... Gro for WHO... Gro for WHO!“: Selbst die Bildschirmschoner auf den vier Computern in einem Zimmer im fünften Stock des norwegischen Außenministeriums machen klar, um was es hier geht. Fünf Außenamtsbeamte haben seit Monaten nichts anderes gemacht, als zu versuchen, die führenden PolitikerInnen in 150 Ländern von dem zu überzeugen, was für Oslos führende Tageszeitung Aftenposten eine Schlagzeile ohne Fragezeichen ist: „Eine kranke Welt wartet auf Doktor Gro.“

Wenn sich heute die 32 Mitglieder des WHO-Generalsekretariats treffen, um zu entscheiden, wer neuer Chef werden soll, ist Norwegens 58jährige ehemalige Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland nicht nur eine, sondern die aussichtsreichste der KandidatInnen. Ein Scheitern wäre nicht nur „eine herbe persönliche Niederlage für sie, sondern für Norwegens gesamte Diplomatie“ (Aftenposten). Nie seit den Zeiten, als man sich die Lillehammer-Olympiade ins Land holte, wurde so viel an Prestige und Finanzmitteln investiert, um ein offenbar als nationales Anliegen verstandenes Ziel zu erreichen: endlich mal wieder seit den Nachkriegszeiten, als man den UNO-Generalsekretär stellte, einen Chefposten im UN-System besetzen zu können. Seit Jahren schon wurde dafür geackert, und in den letzten sechs Monaten waren die diplomatischen Missionen des Landes und das Außenministerium vorwiegend mit dem „Projekt Gro“ beschäftigt. Wer auch nur vorsichtig anzuzweifeln wagte, daß mehrere Millionen Kronen Steuergelder wirklich sinnvoll für solcherart Werbekampagne eingesetzt werden sollten, wurde als Mensch zweifelhafter patriotischer Qualität abgetan. Selbst ein Bittbrief bei Libyens Diktator Gaddafi und ein Besuch in Algerien führten nur zu vereinzelter leiser Kritik.

Eine hohe Hürde schien genommen, als in der vergangenen Woche die USA offene Unterstützung für Brundtland bekundeten. Denn gerade für die US-Arzneimittelindustrie ist die von ihr angekündigte neue WHO-Politik in höchstem Maße profitgefährdend: Anstatt wie bisher „Großkampagnen“ gegen bestimmte Krankheiten durchzuführen, bei denen die Pharmaindustrie auf WHO-Kosten saftige Gewinne scheffelte, will die Norwegerin die Weltgesundheitsorganisation verstärkt auf vorbeugende Gesundheitspflege verpflichten.

So dürfte entscheidend gewesen sein, daß Brundtland nicht nur eine Politikerin ist, für die dringend ein politischer Repräsentationsposten gesucht wurde: Sie verfügt über ein medizinisches Universitätsexamen und hat in der Gesundheitspolitik einige Erfahrungen. Daß sie nicht – wie drei der fünf EndkandidatInnen – aus der WHO-Organisation selbst kommt, war ebenfalls eine ihrer Stärken: Gerade deshalb, so die norwegischen Werber, könne sie die WHO mit neuen Augen sehen und wirksam etwas gegen deren Vergreisungstendenzen machen. Reinhard Wolff