: Herbst einer Debatte
■ Ende der Reden, Zeit zum Handeln: Warum der Mahnmalentwurf von Serra und Eisenman gebaut werden muß – Er ist der beste
Zum Schluß waren noch einmal die Exegeten dran. Auf dem Podium in der Galerie am Marstall saßen am Montag abend: der bewährte Moderator Ernst Elitz, Klaus Hartung von der Berliner Redaktion der Zeit, Bernhard Schulz, Tagesspiegel, Edouard Beaucamp, FAZ, Lea Rosh vom Förderverein für ein Mahnmal für die ermordeten Juden Europas sowie Bernd Schneider als Vertreter des Berliner Kultursenats. Und es wurde deutlich, daß sich die Diskussion um das Holocaust-Mahnmal langsam ihrem vorläufigen Ende zuneigt. Herbst einer Debatte, sozusagen: Neue Argumente, die dem Fortgang des Wettbewerbs eine entscheidende, unerwartete Wendung hätten geben können, wurden am Montag abend nicht vorgebracht. Das hat einen einfachen Grund: Selbst den klügsten Köpfen dürfte es schwerfallen, zu dem, was bisher zu hören und zu lesen war, noch etwas an gedanklicher Substanz hinzuzufügen.
Was jetzt fehlt, ist eine Entscheidung. Sie sollte angesichts der vier konkurrierenden Entwürfe, die Findungskommission und Wettbewerbsauslober in die engere Auswahl genommen haben, nicht wirklich schwer fallen. Drei davon disqualifizieren sich aus den unterschiedlichsten Gründen selbst: Bei der 21 Meter hohen, durchlöcherten Mauer, die der Architekt Daniel Libeskind auf einem Kiesbett in Form des Grundrisses des benachbarten Reichstags errichten möchte, wurde gelobt, wie gut sich der Entwurf in die „städtebauliche Umgebung“ einpaßt – als ginge es dabei um einen Park, der nach besonderer planerischer Harmonie verlangt.
Auch Jochen Gerz' pathetische „Warum?“-Inszenierung mit integrierter Volksbefragung zum Thema Holocaust mutet, konsequent zu Ende gedacht, absurd an. Es mag für Gerz' persönliche Befindlichkeit sprechen, daß er für seinen Entwurf in Anspruch nimmt, der Platz könne „ein paar saftige rechtsextreme Sätze vertragen“. Doch man stelle sich vor, eine Überlebende besucht das zentrale deutsche Holocaust-Mahnmal und findet dort Kommentare von Neonazis vor – mehr als zweifelhaft, ob sie Verständnis hätte für Gerz' volksdidaktisches Exerzitium. Gesine Weinmillers Mauersplitter, die sich an einem Aussichtspunkt in perspektivischer Verkürzung zu einem Davidstern zusammenfügen, bieten gleichfalls breite Angriffsfläche für Kritik: Zum einen waren viele, die die Nazis in den Tod trieben, Deutsche christlichen Glaubens, die von den Nationalsozialisten erst wieder „zu Juden gemacht“ worden waren. Zum anderen braucht es keine sonderliche Phantasiebegabung, sich auszumalen, was passierte, der Entwurf würde realisiert. Die Menschen werden den Aussichtspunkt suchen, das Vexierbild des Davidsterns sehen – und nach vollbrachter Sehübung mit sich zufrieden von dannen ziehen.
Bleibt der Entwurf des Architekten Peter Eisenman und des Bildhauers Richard Serra, der sich in seiner Qualität derart von den anderen abhebt, daß man an ihm schlicht und einfach nicht vorbeikommt. Er läßt jedem einzelnen Besucher die individuelle Freiheit zu Trauer, Scham und Erinnerung, die Gerz gern zum Vorschein gebracht hätte. Er ist im besten Sinne offen, ohne beliebig zu wirken, er ermöglicht sowohl emotionale Empfindungen als auch intellektuelle Interpretation. Er schafft keine Hierarchie des Gedenkens und wird auf lange Zeit ein unverwechselbarer, einzigartiger Ort sein. Bei alledem mag man sich klarmachen, daß das geplante Mahnmal weder die wissenschaftliche Erforschung mit dem Holocaust ersetzen soll noch die Pflege der authentischen Orte überflüssig macht. In seiner jetzigen Form verweigert es sich staatstragendem Zeremoniell, und das ist gut so. Die Auslober des Wettbewerbs sollten der Versuchung widerstehen, den Entwurf noch einmal in ihrem Sinne verändern zu lassen. Man würde dadurch nur ein anderes Mahnmal bekommen, kein besseres. Zeit zum Handeln. Ulrich Clewing
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