: Die iranische Führung hat gestern den regimekritischen Schriftsteller Faradsch Sarkuhi aus der Haft entlassen. Ständige Schikanen, ein Ausreiseverbot und Mordversuche waren die Etappen bis zu seiner Festnahme und späterer Folter im Gefängnis Von Thomas Dreger
Vorläufiges Ende eines brutalen Spiels
Es begann mit einem harmlosen Abendessen. Am 25. Juli 1996 trafen sich sechs iranische Schriftsteller in der Wohnung des damaligen Kulturattachés der deutschen Botschaft in Teheran, Jens Gust. Unter ihnen war auch Faradsch Sarkuhi. Man wollte in lockerer Runde darüber reden, wie die deutsche Vertretung die iranischen Literaten unterstützen könne. Einer der Gäste hatte gerade ein Stipendium für einen Deutschlandaufenthalt erhalten. Einziges „Vergehen“ der geladenen IranerInnen: Sie waren Teilen der Staatsführung wegen ihrer kritischen Haltung zur Islamischen Republik bekannt. Alle hatten die 1994 veröffentlichte „Erklärung der 134“ unterschrieben, einen Aufruf zur Gründung eines unabhängigen Schriftstellerverbands.
Plötzlich stürmten Geheimdienstler die noble Villa im Norden Teherans, sperrten den Diplomaten in ein Zimmer und zwangen die Gäste zu einer absurden Inszenierung: Das Essen wurde vom Tisch geräumt und Akten aus Gusts Regalen ausgebreitet. Dann packten die ungebetenen Besucher eine Videokamera aus. Das ganze sollte aussehen wie ein Treffen von Verschwörern. Sarkuhi machte bei diesem Treffen erstmals mit einem Herrn Haschemi Bekanntschaft. Dieser stellte sich als Mitarbeiter des Geheimdienstes vor, der für kritische Intellektuelle zuständig sei. Aber er bot auch seine Zusammenarbeit an.
Das nächste Mal traf Sarkuhi Haschemi in der Nacht zum 5. August 1996. Zusammen mit etwa 20 Kollegen saß der Schriftsteller in einem Bus in den nordiranischen Bergen. Die Passagiere waren zu einem Kongreß im Nachbarland Armenien geladen. Morgens um fünf hielt der Fahrer, löste die Handbremse und sprang raus. Erst als das Fahrzeug auf einen Abgrund zuschaukelte, bemerkte einer der Schriftsteller das nahende Unheil. In letzter Minute sprang er zum Fahrersitz und zog die Bremse. Wenig später landete ein Hubschrauber. Aus der Kanzel kletterte Haschemi und erklärte, er werde für die sichere Heimreise der Literaten sorgen.
Auch am 8. September des gleichen Jahres dürfte Sarkuhi Kontakt zu Haschemi gehabt haben. 13 Dichter hatten sich gerade in der Wohnung von Mansur Kuschan versammelt und dikutierten über den geplanten Schriftstellerverband. Geheimdienstler lösten die Runde auf und nahmen die Schriftsteller vorübergehend fest.
Die Schikanen sollten die Schriftsteller zermürben. Doch für Sarkuhi waren sie nur der Prolog zu einem viel grausameren Spiel. Am frühen Morgen des 3. November 1996, seinem 49. Geburtstag, hatte er erneut Kontakt mit Haschemi. Der Geheimdienstler hatte Sarkuhi zum Rendezvous auf dem Teheraner Flughafen geladen. Der Grund: Sarkuhi wollte seine Frau Farideh Sebardschad, die als politischer Flüchtling in Berlin lebte, und ihre gemeinsamen Kinder Arasch und Bahar besuchen. Aber die iranischen Behörden hatten dem Schriftsteller signalisiert, für ihn bestehe Ausreiseverbot. Dann schaltete sich Haschemi ein und versprach, er werde sich kümmern...
Eine Kollegin, die Sarkuhi zum Flughafen begleitete, sah ihn zum letzten Mal für lange Zeit. Sarkuhi hatte einen Flug der Iran Air nach Hamburg gebucht. Doch Freunde warteten dort vergeblich auf ihn. 47 Tage fehlte von dem Schriftsteller jede Spur. Dann, am 20. Dezember 1996, tauchte er unvermittelt wieder auf. Auf einem Sofa sitzend, erklärte er auf dem Teheraner Flughafen Journalisten, er sei gerade aus Turkmenistan heimgereist. Zuvor habe er sich in Deutschland, den Niederlanden und in der Türkei aufgehalten. Zweck der Reise sei es gewesen, seine beiden Kinder Bahar und Arasch wieder nach Teheran zu holen. Doch deutsche Anwälte hätten ihm bedeutet, das sei schwierig. Die vom Ministerium für Religiöse Führung und Kultur zum Flughafen bestellten Journalisten bemerkten an Sarkuhi ein fahles Gesicht und auffälliges Zittern. Zudem war er von jungen Herren umgeben, die sorgsam auf jedes seiner Worte achteten.
Die Erklärung lieferte Sarkuhi dann selbst. Kurz bevor der iranische Geheimdienst sich seiner am 27. Januar 1997 wieder annahm, brachte er seine Erinnerungen zu Papier. Freunde schmuggelten den Brief aus dem Land. Auf 13 Seiten beschrieb er detailliert, wie ihn der iranische Geheimdienst systematisch zermürbt, gefoltert und zur Falschaussage gezwungen hätte. Er sei „einem Plan zum Opfer gefallen, den das iranische Außenministerium ausgeheckt und durchgeführt hat“, schrieb Sarkuhi. Er vermutete, daß Irans damaliger Geheimdienstchef Ali Fallahian ihn als deutschen Spion aufbauen wollte und plante, ihm in Teheran einen Gegenprozeß zu machen zum Berliner Mykonos-Verfahren um die Ermordung von vier oppositionellen iranischen Kurden.
Das nächste Lebenszeichen Sarkuhis ließ bis Februar 1997 auf sich warten. Die iranischen Behörden erklärten, er sei am Persischen Golf gefaßt worden, als er versucht habe, das Land illegal zu verlassen. Freunde und Verwandte sind überzeugt: Dazu hatte Sarkuhi keine Chance, der Geheimdienst habe nie von ihm abgelassen
In iranischen Medien wurden anschließend die absurdesten Vorwürfe gegen ihn erhoben, von Spionage bis Ehebruch reichte die Palette. Im September 1997 verurteilte schließlich ein Revolutionsgericht Sarkuhi wegen Propaganda gegen die Islamische Republik zu einem Jahr Haft. Die angeblich seit dem 28. Januar bestehende Untersuchungshaft wurde großzügig angerechnet. Zumindest diese Zusage haben die iranischen Behörden gestern mit Sarkuhis Entlassung eingelöst. Was fehlt, ist eine Ausreisegenehmigung.
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