: Die Frechheit des Menschen
■ Das 20. Jahrhundert im Schnelldurchlauf: Robert Wilson mit dem "Ozeanflug" am BE
Die Tafel wird heute zweckentfremdet. „Happy Birthday Bertolt Brecht“ steht drauf. Das heißt: Das Lehrtheater fällt heute aus, der Lehrer hat Geburtstag. Dann kommt einer, der aussieht wie ein Lehrer im Sonntagsanzug (Stefan Kurz) und findet einen Fehler auf der Tafel. Fügt mit leicht pikiertem Lächeln ein fehlendes T hinzu. So wird aus dem freundlichen Glückwunsch eine kleine Englisch-Lektion. Und wieder tritt jemand auf. Diesmal ist es eine alte Schauspielerin (Ruth Glöss). Der paßt der ganze Glückwunsch nicht. Schließlich sind wir im Theater, und da wird Theater gespielt. Sie wischt den Buchstabensalat einfach weg und schreibt den Titel der Veranstaltung hin: Der Ozeanflug.
Dann kommt Robert Wilson und seine Inszenierung von Brechts Radiostück über den Atlantiküberflieger Charles Lindbergh. Und weil Wilson wohl nicht bloß den Atlantik, sondern gleich das ganze 20. Jahrhundert und das Thema Mensch und Technik überfliegen wollte, kommt zum Brecht noch ein Heiner Müller und zum Müller (Landschaft mit Argonauten) noch ein Dostojewski (Aufzeichnungen aus einem toten Winkel) dazu.
Erst nimmt also Charles Lindbergh, den hier Stefan Kurt spielt, den Kampf mit den Naturgewalten auf. Allein im Lichtkegel, allein im schwarzen Raum. Mal sich verrenkend, wie ein anderer Charles, der mit Nachnamen Chaplin hieß, im Kampf mit den Modernen Zeiten. Oder einfach im Raum imaginäre Linien abschreitend. Es waren Zeiten, als das Duell Mensch und Natur noch nicht entschieden war. Um so triumphaler Lindberghs Sieg. Die Gewalt der Natur wird dargestellt von einer Naturgewalt (und Götterstimme) des Theaters. „Ich bin der Nebel“, droht eine mächtige, doch körperlose Stimme im Raum. Empört sich über die Frechheit des Menschen, der sich in den Himmel erhob, der bis dahin bloß den Göttern und den Vögeln gehörte. Eine Stimme, die Bernhard Minetti gehört, der am Tag vor Brecht seinen dreiundneunzigsten Geburtstag feierte. Und als Minetti später auf der Bühne erscheint, sieht man einen schon hinfälligen Körper, vom Jahrhundert verbraucht, um das es hier geht. Der begeisterte Schlußapplaus gilt später zum großen Teil ihm.
Anschließend Heiner Müllers „Landschaft mit Argonauten“, ein Theatertext, der aus den frühen achtziger Jahren stammt. Als Europa zwischen den Fronten des Kalten Krieges erstarrt war und ein Fortgang der Geschichte nur noch als Zerstörung denkbar war. Dann ging die Geschichte doch weiter, und die Katastrophe fiel vorläufig aus. Wilson und sein Dramaturg Holger Teschke nehmen nun Müllers Text, der nun um die historische Erfahrung reicher ist, daß Technik nicht bloß Triumph, sondern halt auch Katastrophe ist, und setzen ihn gegen Lindberghs Sieg und Brechts Gesang davor. Und das riecht dann eben doch verdächtig nach Lehrstück, wenn auch im Wilson-Pelz.
Bloß als Staubsauger mag eine Gruppe von Frauen Technik noch dulden, die jetzt in einer Felsenlandschaft mit Zedern von einer kommenden Apokalypse spricht. Statuarisch angeordnete Damen (Margarita Broich, Ruth Glöss, Suzanne Vogdt u.a.) machen zwar allesamt einen guten Eindruck, haben aber im wesentlichen nichts Neues zu sagen. Was natürlich nicht ihre Schuld ist, sondern daran liegt, daß Müllers „Argonauten“ ein Geschichtsbegriff zugrunde liegt, der von der Zeit längst eingeholt wurde. Doch Wilson und Teschke interessieren sich dafür aber nicht sonderlich, sondern tun so, als wäre das schon ein zeitloser Klassiker, den man bloß noch aufsagen muß. Und weil die Perspektive sich überholt hat, können sie folglich bloß noch weiter in die Vergangenheit zurückgehen, damit das dialektische Konzept aufgeht: Zu Dostojewskis Erzählung „Aufzeichnungen aus einem toten Winkel“, den Reflexionen eines Beamten mit deutlich nihilistischer Grundhaltung im freiwilligen Ruhestand.
Der (wieder von Stefan Kurt gespielt) wird nun zum Propheten und Kronzeugen. Einer, der alles schon ahnte, bevor es geschah. Wieder spricht Bernhard Minetti als Götterstimme aus dem Off. Diesmal vom kranken Bewußtsein und daß es ekelhaft ist, ein Mensch zu sein. Die Bilder aus Teil eins tauchen in Variationen wieder auf: der Mensch im Lichtkegel, der schwarze Raum – diesmal um eine Serie von geklonten Beamten reicher, die geheimnisvoll aus einer schwarzen Säule heraustanzen. Das Individuum, das in der Gestalt von Charles Lindbergh das Naturgesetz herausforderte, hat sich zum „abstrakten Allgemeinmenschen“ gewandelt, der irgendwie keine besonders respektable Erscheinung sein kann. Der wohl aus kompositorischen Gründen für Wilson unverzichtbar war. Für mich allerdings schon. Schöne Bilder, beeindruckende Schauspieler. Teil zwei und drei nicht so überzeugend. Mir hätte der Ozeanflug gereicht. Esther Slevogt
Wieder am: 30./31.1./21./22.2., jeweils 19.30, am 22.2. 15 und 20 Uhr
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