: Henning Scherf wird Kanzlerkandidat
■ Lauschangriff scheitert im Senat / Jetzt Neuwahlen an der Weser
Bürgermeister Henning Scherf (SPD) beendet das Gemauschel um den großen Lauschangriff. Er wird den Gesetzentwurf kippen. Das verkündete der Bremer Senatschef gestern in einem Vieraugengespräch mit der taz. Scherf will im Senat gegen eine Grundgesetzänderung stimmen. Damit muß sich das kleinste Bundesland laut Koalitionsvertrag im Bundesrat enthalten, und die benötigte Zweidrittelmehrheit kommt nicht zustande.
Die Begründung des Bürgermeisters ist polittaktischer Natur. Scherf: „Ich glaube einfach, daß Gerhard Schröder in der Niedersachsenwahl um mehr als zwei Prozentpunkte absackt.“Für diesen Fall hat der Ministerpräsident des Nachbarlandes angekündigt, nicht als Kanzlerkandidat zur Verfügung zu stehen. Machtmensch Scherf sagt zudem, daß dann auch Oskar Lafontaine nicht kandidieren solle. „Wir brauchen Oskar als Partei-Chef. Ich selbst werde als Kanzlerkandidat ins Rennen gehen.“
Mit seinem Votum gegen den großen Lauschangriff will Scherf den linken SPD-Bundesflügel hinter sich formieren. Damit setzt der Senatschef auf Rot-Grün und erteilt einer großen Koalition in Bonn eine klare Absage. „Bremen zeigt deutlich, daß ein solches Konstrukt nur für Stillstand in der Politik sorgt. Wir konnten uns doch nicht einmal beim großen Lauschangriff hier in der Hansestadt auf eine gemeinsame Linie verständigen.“Scherf will sich noch diese Woche mit dem grünen Fraktions-Chef Joschka Fischer zu ersten Sondierungsgesprächen treffen.
Dabei will der Fahrradfanatiker bereits erste Absprachen zu einer Ökospritsteuer treffen. Dem Vernehmen nach soll der Literpreis auf rund 11,83 Mark erhöht werden. Mit den zusätzlichen Steuereinnahmen will Scherf Bremen entschulden. Der Rest fließt in das Cash-Management des künftigen Bundesfinanzministers und Ex-Vulkan-Chefs Friedrich Hennemann. „Er hat Erfahrung mit großen Geldströmen“, sagte Scherf.
Als Arbeitsminister schlägt er den ehemaligen Vulkan-Betriebsrat Hasso Kulla vor. Das Außenressort soll Häfensenator Uwe Beckmeyer übernehmen, „weil er über die Häfen hervorragende Kontakte in die gesamte Welt hat“. Weitere Namen aus seinem Schattenkabinett wollte er nicht verraten.
In Bremen brach gestern eine Welle der Entrüstung in der CDU los. Fraktions-Chef Ronald-Mike Neumeyer kritisierte die Pläne des Senatspräsidenten aufs schärfste: „Scherf sitzt das Thema Lauschangriff einfach aus. Damit kopiert er die Taktik von Helmut Kohl. Das ist eine durchsichtige Strategie, um die Kanzlerwahl zu gewinnen.“Neumeyer erklärte in diesem Zusammenhang die große Bremer Koalition für beendet.
Die CDU setzt jetzt auf Neuwahlen. Nach dem Scheitern des großen Lauschangriffs und dem Bekanntwerden von Scherfs Kanzlerkandidatur verkündete der Bremer CDU-Parteichef Bernd Neumann, seinen Posten als parlamentarischer Staatssekretär in Bonn aufzugeben und wieder voll in die örtliche Politik einzusteigen. „Ronald-Mike Neumeyer, meine Wenigkeit und Christian Weber werden es den Sozis hier schon zeigen“, so Neumann. Damit bezog er sich auf eine erste personelle Konsequenz bei der SPD nach Scherfs Vormarsch. Fraktions-Chef Christian Weber trat aus der Partei aus und stellte ein Aufnahmegesuch als Chef beim CDU-Ortsverein Oberneuland (vgl. S. 32). Jens Tittmann
Montage/Foto: Tristan Vankann
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