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Für Hertha gibt es nur Schicksalsspiele

■ Mit dem heutigen Start in die Rückrunde der Fußballbundesliga gegen Wolfsburg beginnt für Hertha BSC erneut der Kampf um den Klassenerhalt. Streit gibt es um den Geschäftsführer

„Das Spiel ist für uns richtungsweisend“, stilisiert Hertha-Trainer Jürgen Röber das heutige Treffen (Olympiastadion, 15.30 Uhr) gegen die grün-weißen Underdogs aus der grauen VW-Stadt zum schicksalhaften Duell hoch. Gemeinsam stiegen sie letzten Sommer auf, wobei die „Wölfe“ auf einem sensationellen 9. Platz überwinterten – zwei Ränge vor der höher eingeschätzten Hertha.

Röber ließ zum Jahreswechsel das Personenkarussell rotieren. Die Reservespieler Vural (nach Uerdingen), Sauer (nach Leipzig) und Rath (nach Cottbus) mußten gehen, dafür kaufte der Verein die erstligaerfahrenen Andreas Thom (Celtic Glasgow) sowie Andreas Neuendorf (Bayer Leverkusen). Beide wurden an der Spree groß.

Für Thom (32), der beim BFC Dynamo begann, erhielt Glasgow 800.000 Mark Ablöse, obwohl der Stürmer zuletzt nur auf der Ersatzbank schmorte. „Aus taktischen Gründen kam ich nur sporadisch zum Einsatz“, betont der Stürmer, der 1989 als erster DDR-Kicker auf legalem Wege in die Bundesliga zu Leverkusen wechselte. An den Kennern des schottischen „kick and rush“ (schießen und losrennen) nagt nun heftiger Selbstzweifel, weil sie bisher dachten, die Briten seien taktischer Winkelzüge gänzlich unverdächtig.

Neuendorf (22), der einst bei den Reinickendorfer Füchsen den Talentspähern auffiel, brillierte zuletzt vornehmlich durch seinen Ohrschmuck, über kurze Einsätze im Bayer-Werksteam kam er nicht hinaus. In Berlin mußte der 1,2 Millionen Mark teure Neuzugang erst mal die Reha-Klinik aufsuchen, um sich von einer Leistenoperation zu erholen. „Er ist eine Investition für die Zukunft“, spielt Manager Dieter Hoeneß den zweimonatigen Ausfall des Neuen herunter. Bleibt die Frage, weshalb Hertha Neuendorfs Ex-Klub ein Rückkaufsrecht einräumte.

Nun soll Thom im Angriff die Musik machen, ihm zu Ehren verbannt Trainer Röber die positivste Erscheinung der Vorrunde, den torgefährlichen Andreas Schmidt, in die zweite Reihe. Ob der Mann aus Glasgow, der – bei allem Talent – stets für zu „weich“ im harten Profi-Biz angesehen wurde, wie eine „Granate einschlägt“, werden einige Vereinsobere wohl erst aus Fernsehsendungen erfahren. Zu sehr sind die Herrschaften mit sich selbst beschäftigt.

Denn seitdem Rolf Schmidt- Holtz Mitte Dezember als Vorsitzender des Hertha-Aufsichtsrats zurücktrat, werden im Klub die Karten neu gemischt. Nachfolger von Schmidt-Holtz, der dem obersten Klubgremium weiterhin angehört, wurde Robert Schwan. Herthas Autopilot aus Kitzbühel, der seine Mannschaft erst ein einziges Mal live spielen sah, macht, gemeinsam mit Präsident Manfred Zemaitat, Front gegen den Kaufmännischen Leiter, Dr. Norbert Müller.

„Wir müssen die Weichen stellen, damit Hertha ein florierendes Wirtschaftsunternehmen wird“, forderte Schwan auf der Mitgliederversammlung im November. Es sollten Taten folgen. Weil aber Müller, der ein Jahresgehalt von 750.000 Mark einstreichen soll, als einziger Bundesliga-Vertreter ein bedeutendes Treffen über den bevorstehenden Börsengang des bundesdeutschen Profifußballs verpaßte, geriet er in die Schußlinie.

Da „Dr. No“ es zudem nicht versteht, die Mitgliederzahl des Vereins zu vermehren – sie stagniert bei 3.200 (zum Vergleich: Bayern München hat über 80.000 Beitragszahler) –, werden kritische Untertöne immer lauter.

Müller bekommt mehr, als er verdient, meinen Schwan und Zemaitat. Insbesondere der Präsident, im Brotberuf Rechtsanwalt, schielt neidisch auf das üppige Kaufmannssalär, während er selbst mit mickrigen 52 Pfennig Kilometergeld abgespeist wird. Immerhin, Franz Beckenbauer, Zemaitats Pendant bei Bayern München, kassiert als ehrenamtliche Kraft pro Jahr eine Million Mark an Aufwandsentschädigung.

Allüren wie in Denver, aber Wolfsburg zum Gegner – da ahnen nachdenkliche Herthaner, daß im ersten Schicksalsspiel des neuen Jahres einiges schiefgehen könnte. Jürgen Schulz

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