: Skandalchronik, Staatsschauspiel
Lebt das Medienspektakel um den US-Präsidenten von sich selbst? Nein. In der Clinton-Causa findet investigativer Journalismus Marke USA zu höchster Virtuosität, glaubt ■ Peter Tautfest
„Ahmt das Leben die Kunst nach oder umgekehrt?“ Don Hazen vom Institute for Alternative Journalism spielt mit seiner Frage auf zwei Dramen an, die zur Zeit in Amerika gegeben werden – das eine auf der Leinwand, das andere auf den Bildschirmen und Zeitungsseiten des Landes. Gemeint ist die geradezu verblüffende Übereinstimmung zwischen dem immer populärer werdenden Film, „Wag the Dog“ (mit dem Hund wedeln) und dem Lewinsky-Clinton-Skandal, der CNN um 40 Prozent höhere Einschaltquoten beschert.
Im Film bedient sich die das Weiße Haus der Stilmittel und Techniken Hollywoods und inszeniert einen Krieg gegen Albanien um davon abzulenken, daß der Präsident sich an einer jungen Pfadfinderin im Weißen Haus sexuell vergangen hat.
Ahmt also das Leben die Kunst nach? Wenn Madeleine Albrights gekonnt in Szene gesetzte grimmige Miene sowie die anderer hochrangiger Politiker und Kommentatoren in Washington irgend einen Rückschluß zulassen, dann den, daß in den nächsten Wochen Bomben auf Bagdad fallen und CNNs Peter Arnett wieder live aus dem Hilton berichten darf. Der erste Golfkrieg war ein tolles Medienspektakel, und Hollywood pflegt auf derlei Erfolge mit einer Fortsetzung zu antworten: Golfkrieg II.
Und das alles, klare Sache, wegen eines möglichen Techtelmechtels im Weißen Haus! Wenn man dann noch bedenkt, daß NBC und CBS sich im Besitz von Westinghouse und General Electric befinden, die zu den Giganten der amerikanischen Waffen- und Atomindustrie gehören, und daß der im Fall besonders engagierte Kanal ABC Disney gehört, dem weltgrößten Unterhaltungskonzern, dann scheinen vollends die Grenzen zwischen Politik, Kriegführung und Unterhaltung zu verschwimmen. Alles so richtig nach dem Herzen linker Medienkritiker.
Unter denen ist die Zeit der Verschwörungstheorien ausgebrochen. Brachte Newsweek die ganze Geschichte ins Rollen, weil sonst nichts los ist in Amerika? Die Leute „draußen im Lande“ seien vom Medienspektakel angewidert, heißt es nun. Aber sagen das solche Leute nicht immer?
Skandalberichterstattung und deren Verquickung mit Staatsgeschäften auf der einen und der Zuneigung des Publikums auf der anderen Seite ist so alt wie der Journalismus selbst. Pietro Aretino (1492–1556) wurde nicht umsonst die Geißel der Fürsten genannt und mußte aus Rom fliehen, weil er in witzigen Satiren beschrieb, wie unzüchtig es am Hofe zuging. Daß man ihn liebte, schlägt sich in seinem anderen Beinamen nieder, und der „göttliche“ Aretino war ein schwerreicher Mann.
Deshalb muß Michael Isikoff nicht gleich der neue und amerikanische Aretino sein, aber immerhin hat er die ganze unterhaltsame Geschichte ins Rollen gebracht, weil er einen investigativen Journalismus ganz eigener Art betreibt – und das nicht erst seit der Lewinsky-Affäre. Er war es, der die Geschichte der Paula Jones recherchierte und aus einem obskuren Anwurf in einer Anti-Clinton- Zeitschrift eine ernstzunehmende Anschuldigung machte.
Isikoff war es, der Linda Tripp die Geschichte der Kathleen Willey aus der Nase zog, dieser anderen Mitarbeiterin im Weißen Haus, die von Clinton abgeknutscht worden sein will. Womit der ganze Skandal überhaupt erst ins Rollen kam. Als Clintons Anwalt Robert S. Bennet die Tripp als unglaubwürdig abtat, begann sie ihr Telefongeflüster mit Monika Lewinsky aufzunehmen.
Das alles macht aus der Newsweek, dem Blatt, für das Isikoff arbeitet, schon einen Akteur bei der ganzen Geschichte. Man könnte natürlich auch sagen, der Watergate Skandal sei von der Washington Post inszeniert worden.
Seit Ausbruch des Skandals haben die amerikanischen Medien unausgesetzt über ihn berichtet, ihm viel Sendezeit und noch mehr Seiten gewidmet. Dabei entfaltete der amerikanische Journalismus seine investigative Virtuosität. Es dauerte keine zwei Tage, da hatte die Washington Post durch Befragung von Nachbarn, Klassenkameraden, Arbeitgebern und Bekannten sowie durch Recherchen in Datenbanken fast lückenlose Lebensläufe und Porträts von Monika Lewinsky, Linda Tripp und Kathleen Willey sowie von deren Anwälten, ja sogar von Michael Isikoff gezeichnet. Beängstigend, wie nackt man solchen Recherchen gegenüber sein kann! Und all das baut auf einer Geschichte auf, für die es nur eine Quelle – Michael Isikoff – und nicht den geringsten Beweis gibt. Schon um nicht immer nur von Isikoff abschreiben zu müssen, mußten sich die Medien etwas einfallen lassen.
Und am Ende solcher großen Medienereignisse kommt stets der Katzenjammer: Haben wir nicht unsere eigenen ethischen Grundsätze verletzt? Amerikas Medien gehen demzufolge nun in sich. Was sollen sie auch sonst tun, wo die Enthüllungen spärlicher werden, sie gleichwohl die Geschichte am Kochen halten möchten?
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