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Albright droht Saddam

Im Mittelpunkt der Gespräche der US-Außenministerin in Israel steht der Konflikt mit dem Irak  ■ Aus Jerusalem Georg Baltissen

Jerusalem (taz) – Auch nach mehrstündigen Gesprächen mit dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu und dem Palästinenserführer Jassir Arafat zeichnet sich keine Lösung des Nahostkonflikts ab. Der gegenwärtige Stillstand bedrohe den gesamten Friedensprozeß, sagte US-Außenministerin Madeleine Albright gestern in Jerusalem. Albright hat die Parteien zu weiteren Diskussionen in der nächsten Woche nach Washington eingeladen.

Im Mittelpunkt der Gespräche stand jedoch der Konflikt mit dem Irak über die Inspektion biologischer und chemischer Waffen. „Nichts wird die USA schrecken, wenn es zum Konflikt mit Saddam Hussein kommt“, sagte Albright. „Saddam hat seine Waffen benutzt, um Israel, Kuwait, Saudi- Arabien und die Palästinenser anzugreifen“, so Albright weiter, „aber wir müssen ihn daran hindern, diese Waffen zu benutzen.“

Die militärische Führung in Israel erwartet jedoch, daß noch mindestens zwei Wochen vergehen, ehe die USA eine Entscheidung über einen Militärschlag gegen den Irak treffen. Eine Art „rotes Telefon“ zwischen Jerusalem und Washington ist eingerichtet worden. US-Verteidigungsminister William Cohen informierte Israels Verteidigungsminister Jitzhak Mordechai in der vergangenen Woche über die aktuelle Entwicklung. Die US-Regierung hat versprochen, die israelische Regierung mindestens 24 Stunden vor einem Militärschlag zu informieren.

Laut israelischen Erwägungen hat Bagdad kein Interesse daran, selbst einen präventiven Militärschlag gegen Israel oder die USA zu führen. Infolgedessen werden keine besonderen militärischen Vorkehrungen getroffen. Dennoch wurde die Bevölkerung von Tel Aviv aufgefordert, die vor sieben Jahren ausgeteilten Gasmasken auf ihre Funktionstüchtigkeit zu überprüfen und gegebenenfalls neue anzufordern. Das israelische Gesundheitsministerium gab bekannt, daß es auf einen möglichen Scud-Angriff besser vorbereitet sei als während des Golfkriegs.

Die USA haben nach israelischen Angaben einen Impfstoff zur Verfügung gestellt, der gegen mögliche Giftgasangriffe helfen soll. In Tel Aviv wurden damit zuerst Kinder geimpft. Trotz aller Vorbereitungen mußte die Stadtverwaltung von Tel Aviv einräumen, daß in den Schulen Schutzräume für 300.000 Kinder fehlen. Umgerechnet 250 Millionen Mark seien erforderlich, um diese Lücke zu schließen, erklärte das Erziehungsministerium.

Hohe israelische Militärs gehen davon aus, daß die Krise mit dem Irak nur militärisch gelöst werden kann. Sollte kein Militärschlag gegen den Irak erfolgen, werde der Irak eine weitere Überprüfung seiner Waffenarsenale durch die UNO nicht mehr zulassen. Nach israelischer Auffassung wäre die Folge eine erneute Aufrüstung des Irak mit biologischen und chemischen Waffen. Eine eigene Reaktion auf einen irakischen Angriff hat die Militärführung Israels nicht ausgeschlossen. Im Gegensatz zum Golfkrieg im Jahre 1991 will Israel nicht stillhalten, sondern mit Angriffen, möglicherweise sogar mit einem Atomschlag, antworten. Panik vor einem möglichen Angriff herrscht in der Bevölkerung nicht. Ein Angriff auf Jerusalem gilt ohnehin als ausgeschlossen, weil die 170.000 Palästinenser in der Stadt eine Art Schutzschild für die israelische Bevölkerung bilden.

Unter den Palästinensern werden die irakischen Forderungen als gerechtfertigt angesehen. Zugleich wird auf die Doppeldeutigkeit der US-Position verwiesen, die den Irak zu genauester Befolgung von UN-Resolutionen zwinge, Israel dagegen die permanente Verletzung von UN-Resolutionen erlaube. Sollten die Bemühungen von Albright keinen Erfolg haben, Netanjahu zu einem nennenswerten Rückzug aus dem Westjordanland zu bewegen, ist auch ihre Reise in die Golfstaaten und nach Ägypten überschattet. Die arabische Welt wehrt sich entschieden dagegen, irakisches Blut zu vergießen, solange die USA sich als unfähig erweisen, Israel zu Kompromissen in der Palästina-Frage zu bewegen.

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