: Fehlanzeige beim StudentInnen-Ticket
■ Rostock hat's, Hamburg hat's, das ganze Ruhrgebiet hat's – nur Berlin fährt noch ohne Semesterticket. Heute führt die Aktion „Semtix“ eine Befragung an der Humboldt-Uni durch
Im Gegensatz zu den Studierenden an den meisten deutschen Uni-Städten schauen die Studenten und Studentinnen an der Spree in Sachen Semesterticket in die Röhre. „Semtix: Studententicket 130 Mark“, diesen Schriftzug kann man derzeit trotzdem an einigen BVG- und S-Bahn-Fahrkartenautomaten lesen. Drückt man die dazugehörige Taste, ist jedoch Fehlanzeige auf dem Preise-Mäusekino. Nur ein kleiner Spucki- Scherz am Rande. Damit sich das bald ändert, hat sich die universitätsübergreifende Aktionsgruppe „Semtix“ gegründet. „Semtix“ tritt für ein von der gesamten StudentInnenschaft finanziertes sowie sechs Monate gültiges Semesterticket ein. „Derzeit kosten sechs Monatskarten 420 Mark. 130 Mark für ein Studenten-Ticket wäre doch attraktiv“, meint der TU-Student Ingolf Berger.
Beim Verkehrsverbund Berlin- Brandenburg (VBB), der ab Frühjahr/Sommer 1998 für die Tarife zuständig ist, steht man dem studentischen Vorhaben auch einigermaßen aufgeschlossen gegenüber. Allerdings: „In der Summe dürfen sich die Einnahmen nicht reduzieren. Außerdem kann ein Ticket nur soviel billiger sein, wie es einen Zuwachs an studentischen Nutzern gibt“, stellt VBB- Mitarbeiter Jürgen Sentz fest.
Die eher positive Reaktion des seit einem Jahr bestehenden VBB läßt aufhorchen, denn noch 1994 hatten BVG und die StudentInnen vergeblich versucht, einen Preis für „Semtix“ auszuhandeln. 1995 wurden die Verhandlungen dann von seiten der StudentInnen abgebrochen. Die Preisvorstellungen der Verkehrsbetriebe lagen zu diesem Zeitpunkt noch bei satten 191 Mark.
Prinzipiell scheiden sich am Semesterticket die Geister, wie die beiden bundesweit verbreiteten Modelle, die sich grundsätzlich unterscheiden, zeigen. In Trier gibt es beispielsweise eine Art „Sockelmodell“. Hier zahlen alle StudentInnen einen Grundbetrag von 95 Mark. Doch um das Ticket tatsächlich nutzen zu dürfen, müssen dann noch einmal 27 Mark hinzubezahlt werden. Dieses Modell ist für Radfahrer und Autofahrer von Vorteil, da sie so, je nach persönlichem Bedarf, entscheiden können, ob sie die zusätzlichen 27 Mark zahlen oder nicht.
Das sogenannte „Solidarmodell“, wie es übrigens auch für Berlin geplant ist, existiert schon in Darmstadt. Dort erhalten die Verkehrsbetriebe zweimal jährlich einen ausgehandelten Betrag von der Universitätsverwaltung. Jeder Student und jede Studentin zahlt 40 Mark, die zusammen mit der Einschreibegebühr eingezogen werden. Der StudentInnenausweis gilt in Darmstadt automatisch als Fahrschein. In Hamburg gibt es das gleiche Modell, nur kostet an der Alster das Semesterticket 199 Mark – zuzüglich 10 Mark für einen Sozialfonds.
StudentInnen mit eigenem Auto haben in der Vergangenheit schon mehrere Prozesse gegen StudentInnen-Tickets angestrengt, so auch in Hamburg und zuletzt in Münster. Dort entschied das Oberverwaltungsgericht 1997, daß Auto fahrende StudentInnen ein Semesterticket bezahlen „müssen“, wenn es an ihrer Uni eingeführt wird. Begründet wurde das Urteil damit, daß „günstige Verkehrstarife für Studenten wichtig sind, weil die Höhe der Studienkosten zunehmend von den Fahrtkosten zur Hochschule bestimmt werde“.
Die StudentInnen haben bisher, laut Ingolf Berger, „gut“ auf die Idee reagiert. Im Rahmen einer seit Monaten laufenden Kartenaktion wurden am vergangenen Mittwoch elftausend Karten, mit dem Inhalt: „Ja. Ich fordere das neue Studententicket“, unterschrieben von StudentInnen aller Berliner Universitäten, auf einer großen Wäscheleine vor der Senatsverwaltung für Verkehr aufgefädelt, um der Forderung noch einmal Nachdruck zu verleihen.
Politisch kann sich „Semtix“ ohnehin auf einen Beschluß des Abgeordnetenhauses berufen, der 1995 auf Antrag der Bündnisgrünen verabschiedet wurde und die Einführung des Tickets zu einem „angemessenen“ Preis fordert. Michael Cramer, verkehrspolitischer Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen, argumentiert folgendermaßen: „Das Semesterticket sollte für die BVG ein Werben für die vollzahlenden Kunden von morgen sein. Ohne Ticket werden die Unis zur Kaderschmiede für Schwarzfahrer.“ Olivier Moliner
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