: Nachtwache in der Brunnenstraße
Vor acht Jahren wurde der Gebäudekomplex besetzt, heute sperren die ExbesetzerInnen Leute aus. Die Ausgesperrten reagieren mit Randale. Warum eskalierte der Konflikt in der Brunnenstraße 6/7? ■ Von Sabine am Orde
In der Brunnenstraße 6/7 wird noch immer Nachtwache geschoben. Nicht ohne Grund, kam es doch auch am vergangenen Samstag wieder zu Auseinandersetzungen; diesmal auf der Abschiedsparty der Szenekneipe Ex im Kreuzberger Mehringhof. Als BewohnerInnen des ehemals besetzten Gebäudekomplexes Brunnenstraße Flugblätter verteilen wollten, ging die Rangelei los. „Ich bin geschubst worden und habe zwei Kopfnüsse abgekriegt“, sagt einer von ihnen, „das Ex habe ich schließlich unter Begleitschutz verlassen.“ Zudem sei eine Bewohnerin am Nordbahnhof von drei Punks an die Wand gedrückt und geschlagen worden.
Die ExbesetzerInnen hatten vorletztes Wochenende vier Leute der sogenannten Punk-Fraktion aus der Brunnenstraße ausgesperrt (die taz berichtete). Daraufhin randalierten wutentbrannt etwa 30 Punks und ihre UnterstützerInnen vor dem Tor. Unbekannte setzten vor der Tür eine Gasflasche in Brand. Die Feuerwehr löschte und verhinderte so vielleicht eine Explosion, die Polizei ermittelt wegen schwerer Brandstiftung.
Was ist passiert in der Brunnenstraße? Die Brunnenstraße 6/7 ist ein großer Altbaukomplex mit zwei Höfen und acht Hausflügeln. Die ersten davon wurden im Sommer 1990 besetzt, 1991 wurde die Besetzung mit Einzelmietverträgen legalisiert. Zehn Wohngruppen mit insgesamt etwa 80 Leuten leben hier, im Hinterhaus gibt es ein Obdachlosenprojekt. Alle Aufgänge werden von den dort wohnenden Gruppen verwaltet. Vor mehr als vier Jahren zogen die ersten Punks und Treber in den Seitenflügel. Dort war die Gruppenstruktur nie so fest wie in anderen Gebäudeteilen, die Fluktuation war stets hoch.
Zum ersten Knatsch kam es vor zwei Jahren. Die BewohnerInnen des B-Flügels feierten nachts mit Alkohol und Musik an einer Feuertonne im ersten Hof. Ein „Stimmungsgemisch zwischen Oktoberfest und Hooligan-Sonnenwendfeier“, fanden die ExbesetzerInnen, einige beschwerten sich. Die Reaktion aus ihrer Sicht: „Wir wurden beschimpft und mit Holzlatten verfolgt, eine Vergewaltigung wurde angedroht.“ „Wir haben an der Tonne ein bißchen Mucke gehört“, so die Version aus dem B-Flügel. Mit dem Deutschlandlied, das sei Spaß gewesen, und der Spruch „Ich fick' dich, du Sau!“ noch lange keine Vergewaltigung.
„Schon damals meinten einige, wer andere mit Holzlatten verfolgt, muß raus“, sagt eine Exbesetzerin aus dem Hinterhaus. Doch so leicht geht das in einem politischen Hausprojekt nicht. Dort wurde diskutiert: untereinander, mit dem B-Flügel, auf Plena. „Aber viel passiert ist nicht.“
Im vergangenen Sommer spitzte sich die Lage zu. Die B-Flügel-BewohnerInnen hatten Besuch von auswärtigen Punks, auch Leute aus anderen Häusern, zum Teil geräumt, zogen in die Brunnenstraße. Die fünf Einzimmerwohnungen waren mit bis zu 40 Leuten belegt. „Die Punk-Partys, das war schon krass“, gibt einer aus dem B-Flügel zu. „Aber warum sagen die uns das auf einem Plenum drei Monate später?“
Die BewohnerInnen erzählen von Drohungen, Kinder zu entführen und das Haus anzuzünden, von Hakenkreuzschmierereien und dem Spruch „Fotzen und Schlampen“ am Frauen- und Lesbenhaus, von Geschossen mit Leuchtspurmunition, dem Zeigen von Waffen und einer Bedrohung mit Messern. Seit dem Sommer hatten einige BewohnerInnen Angst auf dem Weg vom Hoftor in ihr Treppenhaus. „Du wußtest einfach nicht, ob dir was passiert“, sagt einer aus dem Hinterhaus. „Wenn sich einzelne bedroht fühlen“, fügt ein Exbesetzer hinzu, „dann bin ich mit denen solidarisch.“ Die Lebensqualität im „Brunnendorf“ sank stetig. Manche klinkten sich aus, einige zogen weg. Die anderen versuchten es weiter mit Diskussionen. Doch manche BewohnerInnen hatten wenig Zeit, das wöchentliche Plenum gab es nicht mehr. „Außerdem kam der B-Flügel oft nicht zum Plenum, und wenn, dann gab's viel Provo“, sagt eine aus dem Hinterhaus. „Eine normale Kommunikation war unmöglich. Immer hieß es: Alles Provo, ihr linken Spießer.“
Die Wahrnehmung des B-Flügels ist eine völlig andere. Hier wird die „krasse studentisch-aristokratische Sprache“ der ExbesetzerInnen beklagt, ihr „überhebliches und arrogantes Auftreten“. „Die verstehen unsere Kultur und unsere Lebensweise nicht.“ Und die Bedrohungen, das Messer? „Es ist einmal passiert, daß einer 'ne Waffe gezogen hat, der hatte Panik“, sagt ein ehemaliger Bewohner des B-Flügels.
Vielen der ExbesetzerInnen war bald klar: Zumindest ein Teil des B-Flügels muß raus. Aber wie? Sie fragten FreundInnen und andere Projekte um Rat, druckten Flugblätter, luden zu offenen Plena. „Rausschmeißen könnt ihr sie nicht, haben viele gesagt“, erzählt eine Frau aus dem Hinterhaus, „und dann meinten sie, wie froh sie sind, hier nicht zu wohnen.“ „Irgendwann haben wir es nicht mehr ausgehalten“, sagt eine andere, „da war klar, wenn die nicht gehen, kippt das Projekt.“ Ende Oktober, als sich die Lage wieder etwas beruhigt hatte, stellten sie ein Ultimatum: Vier Männer, die gedroht und beschimpft hätten, nach Ansicht der ExbesetzerInnen weder jugendliche Trebegänger noch Punks, müssen in zwei Wochen raus. Neun von zehn WGs waren dafür. Den Rausschmiß am vorletzten Wochenende unterstützten weit weniger.
Das Ultimatum verstrich. Die B-Flügel-BewohnerInnen spannten Natodraht und alarmierten Leute. „Die haben uns doch mit Rausschmiß gedroht“, sagt eine Frau aus dem B-Flügel. Aber sie kamen auch mit Leuten aus dem Kiez ins Gespräch, ein Runder Tisch wurde initiiert, der sich im Dezember zweimal traf. Für die ExbesetzerInnen jedoch gab es kaum noch Verhandlungsspielraum. „Damals wollten wir noch, daß alle aus dem B-Flügel gehen, denn die anderen hatten gesagt, sie lassen die vier Leute wieder rein.“
Das versteht die B-Flügel-Fraktion nicht. Die letzten vier Monate seien doch ruhig gewesen, heißt es, und sie kompromißbereit. „Aber unseren Freund rausschmeißen, das wollten wir nicht.“ Nach ihrer Version lebte inzwischen nur noch einer der vier Männer in der Brunnenstraße. An der Eskalation seit dem vorletzten Samstag gibt der B-Flügel den „Yuppie-Autonomen“ die Schuld. Die „Hauptstreßfaktoren“ vor dem Tor seien Unbekannte gewesen: „Wenn man hört, da wird geräumt, kommen eben Leute dazu, die Aggressionen haben“, sagt einer von ihnen. „Das hat doch niemand mehr unter Kontrolle.“
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