Kommentar: Frieden aus Schwäche
■ PKK-Führer Öcalan will die PKK in eine legale Partei verwandeln
Die Türkei steht kopf. Der PKK-Guerillaführer Abdullah Öcalan hat erklärt, er wolle das Land nicht spalten, akzeptiere die bestehenden türkischen Grenzen, befürworte eine Verfassungsreform und würde am liebsten mit einer legalen Partei Politik betreiben. Wer dies als bloßen Propagandatrick abtut, verkennt die Zeichen der Zeit. Denn was Öcalan sagt, steht in unmittelbarer Beziehung zu den politischen Zuständen in der Türkei. Und trotz der politischen Zickzacklinie war und ist der Guerillaführer ein Realpolitiker.
Die kurdische Guerilla, die 1984 entstand, lehnte sich gegen einen Militärstaat auf, der jegliche politische Regung der Gesellschaft erstickte. Die Kurden, selbst ihrer sprachlichen und kulturellen Identität beraubt, waren jene Gruppe, die – politisch am regsten – in Form einer Guerilla die Fahne des Aufstandes hißten. Unterstützt von kurdischen Bauern, konnte die PKK bis Anfang der 90er „Siege“ feiern. „Sieg“ bedeutete zweierlei: die Etablierung der PKK als politische Autorität und daß die kurdische Frage international ins Bewußtsein rückte.
Doch militärisch kassierte die PKK in den vergangenen Jahren eine Niederlage nach der anderen ein. Der türkische Staat beherrscht die kurdischen Städte und Berge. Die Zwangsevakuierung von kurdischen Dörfern und die Vertreibung von Millionen aus den ländlichen Regionen hat der Guerilla ihre Basis entzogen. Die Mehrheit der Kurden lebt mittlerweile nicht mehr in Kurdistan, sondern im Westen der Türkei. Weil diese demographische Veränderung unumkehrbar ist, erweist sich die Vorstellung einer Spaltung der Türkei auf territorialer Grundlage, wie es sich vielleicht PKK-Ideologen erhofften, als Hirngespinst. Und einer Guerilla, die keinen militärischen Aktionsradius mehr hat, fehlt die Legitimation.
Öcalan ist sich genau dieser Sackgasse bewußt. Deshalb folgt nun sein Angebot an den türkischen Staat, der in dem Krieg, der Zehntausenden das Leben kostete, militärisch gewonnen, doch politisch verloren hat. Öcalans Angebot fällt in eine Zeit, in der türkische Generäle konstatieren, daß die Armee „bis zum letzten“ gegangen sei. Nun müsse die Politik etwas tun.
Noch ist kein Frieden in Sicht. Doch sowohl das türkische Militär als auch die PKK haben Weichen gestellt, die langfristig in einem Kompromiß in der kurdischen Frage enden könnten. Ömer Erzeren Bericht Seite 5
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