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Debattieren mit dem Rücken zum Scheindiktator

■ Auch bei den „Reformseminaren“ finden StudentInnen und Wissenschaftssenator nicht zueinander. Auf die Frage nach „konkreten“ Mißständen schallt Radunski der Ruf nach seinem Rücktritt entgegen

Um 16.20 Uhr kehrten die StudentInnen dem Senator den Rücken. Demonstrativ setzten sie sich auf die Tische und richteten ihre Blicke auf die Rückwand des Hörsaals an der Humboldt-Universität (HU), während vorn Peter Radunski ungerührt über die Zukunft der Berliner Hochschulen dozierte. „Sie sind einfach der falsche Gesprächspartner“, erklärte der StudentInnenvertreter Rainer Wahls, „auf Wiedersehen!“

Die Regenschirme, die Radunskis Bodyguards mitgebracht hatten, blieben aber trocken. Als der Senator sich den HU-StudentInnen im Dezember gestellt hatte, waren noch Eier geflogen. Diesmal überreichten ihm zwei Studentinnen einen Becher voll Kleingeld. „Wir haben für Ihre Abfindung gesammelt“, sagten sie, „damit Sie sich zur Ruhe setzen können.“

Die HU-Veranstaltung war das letzte der drei „Reformseminare“, die Radunski im Dezember angekündigt und diese Woche an den drei Universitäten abgehalten hat. Daß es dabei an der HU am hitzigsten zugehen würde, konnte niemanden überraschen. Schließlich hatte schon der Streik dort seine Hochburg. An der Freien Universität (FU) fanden zwar auch rund 150 StudentInnen den Weg in den Theatersaal des Henry-Ford-Baus. Nach anfänglichen Versuchen, Radunski durch Klatschen zum Verstummen zu bringen, verließen die ProtestlerInnen aber unter lautem Türenklappen den Raum. An der Technischen Universität (TU) hingegen kamen nur etwa 40 Studierende in den großen Hörsaal des Mathe-Gebäudes.

Dozent Radunski erschien zu den „Seminaren“ nicht allein. Seine beiden zuständigen Abteilungsleiter hatten sich wie Musterschüler auf ihre Referate vorbereitet. Wolfgang Eckey, Chef der Grundsatzabteilung, sprach über die Hochschulverträge. 85.000 Studienplätze seien in Berlin „auf Dauer“ gesichert, beteuerte er. Mehr Geld als in den Verträgen vorgesehen gebe es dafür aber nicht, deshalb sei eine „Steigerung der Effizienz“ vonnöten.

Während Eckey sich von ungebetenem Applaus und Zwischenrufen nicht aus dem Konzept bringen ließ, zeigte sich sein Kollege Bernhard Kleber einigermaßen irritiert vom ungewohnten Ambiente, das so wenig mit Abteilungsleitersitzungen gemein hatte. Immerhin kam ihm der saloppe Ausdruck „Prüf den Prof“ über die Lippen, als er über die Bewertung von Lehrveranstaltungen sprach.

Auch die Beiträge der StudentInnen waren sich an den drei Nachmittagen erstaunlich ähnlich. Die RednerInnen bestritten in ihrer Mehrheit jeglichen Sparzwang und führten als Beleg die Steuerschlupflöcher für Reiche an. Der Senator entgegnete, auch die überlangen Ausbildungszeiten ließen die Masse der Steuerzahler schrumpfen. Man kann Radunski kaum vorwerfen, daß er vor den StudentInnen einknickte. Als „Solidarbeitrag“ zur Uni-Reform verlangte er von ihnen nicht allein Studiengebühren, sondern auch eine Absenkung der Tutoren-Bezahlung.

Nicht ungeschickt war auch des Senators Beharren auf „konkreten Beispielen“ für universitäre Engpässe. Genüßlich berichtete Radunski von zwei Fällen, in denen sich studentische Klagen nach seiner Ansicht als unbegründet erwiesen hatten. Daß die FU-Politologen in den letzten Jahren kein einziges Buch kaufen konnten, habe Dekan Elmar Altvater dementiert. Die HU-Slawisten, denen gar der russische Präsident Bücher schenken will, hätten nach Angaben ihrer Bibliotheksleiterin keinen Grund zur Klage.

Doch die StudentInnen wollten sich auf solches Klein-Klein nicht einlassen. Ihre großen Worte ließen aber bisweilen sprachliche Präzision vermissen – etwa, als sie Radunski als „Scheindiktator“ bezeichneten. Sie meinten wohl, Radunski sei ein Diktator, der diesen Anschein gerade zu vermeiden suche – also ein Scheindemokrat. Der Senator bemerkte diesen Mißgriff nicht und entgegnete: „Stehe ich vor Ihnen wie ein Scheindiktator?“ Ralph Bollmann

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