: Autodidakt, Provokateur, Dauermeckerer
„Man wird glaubwürdiger, wenn man nicht nur austeilt, sondern auch sich selber auf den Arm nimmt“, so lautet die Devise des türkischen Kabarettisten Mushin Omurca. Als Weltverbesserer sieht er sich nicht. Er beißt sich vielmehr an Widersprüchen fest. Zum Beispiel an der gutgemeinten Aktion, Skinheads in die Türkei zu schicken, zwecks Läuterung. Omurca erzählt aus dem „Tagebuch eines Skinheads in Istanbul“.
Skinhead „Hansi“ fackelt nicht lange, dafür aber leidenschaftlich gern. Seiner Kokelaktion à la Paulinchen fällt ein ganzes Stadtviertel zum Opfer. Dafür gewinnt er mit richterlichem Beschluß den Hauptpreis. Vier Wochen „Umerziehungstherapie“ in Istanbul, „sponsoring by Vater Staat, denn sein Papi hat keiiinen Pfennig dazubezahlt“.
Drei Haken hat die Sache allerdings. Zum ersten wird Dr. Botho Kraus, Umerziehungsspezialist und Multikultifreund (verheiratet mit einer Türkin), den Feuerteufel bei seiner Reise begleiten. Zum zweiten ist der türkische Simultandolmetscher Ali, kurz: „Simulti Ali“, mit von der Partie. Last but not least hätte sich Hansi lieber einer Zahnwurzelbehandlung unterzogen, als auch nur einen Fuß auf den Boden der Türkei zu setzen. Aber was muß, das muß! Unter dem Motto „Tee trinken und Vorurteile abbauen“ nimmt Dr. Kraus „Patenonkel aller Türken“ seine Tätigkeit in Istanbul auf.
Versuche, Hansi die fremde Kultur positiv zu näherzubringen, scheitern. Diese Erkenntnis macht Botho Kraus sehr wütend. Wenn Botho Kraus sehr wütend ist, äußert sich dies in unangenehmem Haarausfall, und der hat bereits begonnen.
Auch der türkenhassende Türke Ali will nicht so wie Botho will. Er pfuscht ihm ins Handwerk, indem er dem Hansi Türkenwitze erzählt. Muß vielleicht auch Ali zur „Umerziehungstherapie“?
Hansi seinerseits findet Türkenwitze nicht mehr lustig, wenn Türken sie erzählen: „Kann man mal sehen, die Türken nehm' uns alles weg.“ Dabei will Ali doch nur freundlich sein und als Sympathisant die nationalistische Einstellung mit Hansi teilen.
Botho verliert derweil in Istanbul, als er die schriftliche Scheidungsmitteilung seiner türkischen Frau aus Deutschland erhält, nicht nur sein Gesicht, sondern auch die restlichen Haare. Nun, als Glatze, findet Botho die Türken echt ätzend. Hat Hansi Botho infiziert? Die Antwort soll hier nicht verraten werden.
Unter der Regie von Ralf Milde stellt der türkische Kabarettist Muhsin Omurca in dem Stück „Tagebuch eines Skinheads in Istanbul“ nicht etwa nur aus der Luft Gegriffenes dar. Vielmehr entstand die Idee aufgrund realer und zugleich absurder pädagogischer Maßnahmen. 1993 wurden rund dreißig rechtsorientierte Skinheads unter pädagogischer Aufsicht und mit Hilfe der TUI in die Türkei geschickt. So sollte ihr Fremdenhaß am Fremden genesen. Diese Situation löste sein Bedürfnis nach kabarettistischer Aufarbeitung aus.
Gnadenlos und unverblümt hält der seit 1979 in Deutschland lebende Omurca der deutschen und türkischen Kultur den Spiegel vor die Nase – macht Widersprüche auf komisch brutale Weise sichtbar. Rotzfrech und bissig wird mit Vorurteilen Schluß gemacht. Oder er versucht, sie sarkastisch und provokativ zu „injizieren“. Ein Weltverbesserer ist der in Ulm lebende Künstler nicht, doch zum Kabarettisten gehört das Image eines Dauermeckerers, sagt Omurca über seinen Beruf.
„Man wird glaubwürdiger, wenn man nicht nur austeilt, sondern auch sich selber auf den Arm nimmt“, lautet seine Devise. Omurcas One-man-Show wird durch perfekte, höchst amüsante, von ihm selbst gezeichnete Karikaturen illustriert. Der 38jährige ist Autodidakt und Allroundtalent zugleich. Während sich bei ihm schon im Alter von sechs Jahren ein besonderes Talent zum Zeichnen und Karikieren feststellen ließ, ist die schauspielerische Tätigkeit ein reines Zufallsprodukt.
Hinter den Kulissen schrieb er damals Drehbücher, doch öffentliche Auftritte machten ihm Angst, gesteht der gebürtige Bursaer. Als 1984 ein Bühnenakteur wegen schwerer Krankheit das Bett hüten mußte, stieg Omurca stellvertretend ein. Er überzeugte an diesem Abend nicht nur das Publikum, sondern auch den anwesenden Kabarettisten Dieter Hildebrandt. Begeistert, nahm er Omurca mit auf Tournee. Es folgte die Mitgründung des ersten deutschsprachigen türkischen Kabaretts „Knobi-Bonbon“.
Vor allem die Kombination von Schauspielkunst und karikaturistischem Können beherrscht Omurca bestens. Nur einen kleinen Unterschied sieht er selbst bei den beiden kreativen Darstellungsformen: „Karikaturen sind zweidimensional und Kabarett dreidimensional.“
Als er 14 Jahre alt ist, werden in seinem Heimatland erste Karikaturen von ihm veröffentlicht. Dennoch plant er nach dem Abitur nicht gleich ein Kunststudium. Vielmehr entschließt sich Muhsin Omurca für zwei Semester Astronomie zu studieren und dann fürs Aus. Viel Zeit konnte er nun wieder mit Feder und Zeichenstift verbringen. Auch die Message durfte nicht fehlen. Mit seinen überwiegend politischen Karikaturen nutzt er die Provokation als Denkanstoß. 1991 erscheint im Rosenheimer Verlag sein Cartoon-Werk „Match Ball“.
Muhsin Omurca, der Anti-Proto-Türke ohne tiefschwarzes Haar, ohne Hackennase und ohne Schamhaare im Zinken ist sich sicher: „In Deutschland gibt es keine Multikultigesellschaft.“
Muhsin Omurca fordert keine Integration und keine Anpassung. Er fordert Emanzipation, und wenn die erreicht werden will, gilt es, alle gleichermaßen demokratisch zu behandeln. „Identität“ – die eigene und die der anderen, ist immer wieder ein beliebtes Thema seines kreativen, bösartigen und schaurig-schönen Schaffens.
Während Muhsin Omurca am 12. November als Skinhead „Hansi“ oder als „Simulti Ali“ temperamentvoll und überzeugend über die Bühnenbretter tobt, wird in der Türkei der internationale Karikaturistenpreis verliehen. Der Drittplazierte allerdings fehlt, denn er will die wartenden Kabarettgäste nicht enttäuschen und sorgt zu diesem Zeitpunkt mit „Tagebuch eines Skinheads in Istanbul“ in Bremen für reichlich Training der Lachmuskulatur. Seinen Sadismus am Publikum wird Mushin Omurca weiterhin am 27. und 28. März in Obernburg erproben. Elke Lüztebäck
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