"Dann stünden wir nackt da"

■ BR-Intendant Albert Scharf über Olympia bei der ARD und die Fußball-WM bei Kirch

taz: ARD und ZDF berichten 300 Stunden live aus Nagano. Dafür zahlt allein die ARD 24,5 Millionen Mark für Rechte und Produktion. Lohnt sich das?

Albert Scharf: Ich glaube schon. Wir rechnen mit hoher Zuschauerakzeptanz, auch wenn die Einschaltquoten natürlich von deutschen Erfolgen abhängen. Die tägliche Rotation zwischen ARD und ZDF und das unveränderte Angebot der Dritten Programme gestatten, daß die Nicht-Sportinteressierten auch bedient werden.

Bekommen Sie Schwierigkeiten in künftigen Rechteverhandlungen mit dem IOC, wenn Sie zu kritisch berichten, etwa über Doping?

Das hat nie eine Rolle gespielt. Das IOC schätzt unsere Berichterstattung, weil sie unbefangen, objektiv, sachkundig ist und sich nicht nur auf massenattraktive Sportarten beschränkt.

Die Olympia-Rechte haben Sie noch bis 2.008. An der Fußball-WM werden sich ARD und ZDF dagegen 1998 wohl letztmalig erfreuen können, da die Rechte für 2002 und 2006 Leo Kirch hat.

Ich erwarte sehr wohl, daß wir künftig von der Fußball-WM berichten können. Wir werden sie nicht mehr exklusiv haben, aber es wird Möglichkeiten geben, die WM zu zeigen.

Sie wollen Kirch Zweitverwertungsrechte abkaufen?

Zweit- oder Erst-, jedenfalls Verwertungsrechte. Ich gehe davon aus, daß auch die WM 2002 im sogenannten Free-TV zu sehen sein wird, und da werden ARD und ZDF ihre Rolle spielen. Es ist ja nicht leicht, ein Großereignis in seiner Gesamtheit zu präsentieren, wenn man nur eine Programmschiene hat, auf der man Sport zeigen kann, wie die Kirch-Gruppe mit Sat.1. Es ist abzusehen, daß es neue Angebotspakete geben wird und neue Möglichkeiten, Teilrechte zu erwerben.

Muß Kirch Ihnen etwas anbieten, um die Milliarden für die Rechte zu refinanzieren?

Es gibt viele Varianten. Ich denke, die Verhandlungen werden erst in zwei Jahren geführt. Aber es wird realistischerweise ein Mix zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Sendern geben. Wer immer 2002 über die Rechte verfügt, muß für Refinanzierung jeden Verwertungsweg bedenken. Auch ARD und ZDF.

Kirch-Manager Dieter Hahn versprach kürzlich, alle deutschen Spiele, zumindest 2002, kämen live ins Free-TV. Ist darauf Verlaß?

Zu dieser Erklärung hat sich Herr Dr. Hahn ja erst schrittweise vorarbeiten müssen. Verlassen kann man sich zumindest insofern, als das wirtschaftliche Interesse dafür spricht.

Fifa und Kirch streiten um den WM-Vertrag. Die Fifa meint, sie könne eine Ausstrahlung im Pay-TV verhindern, Kirch sieht das anders. Wem glauben Sie?

Ich weiß nicht, was die Herren im Detail ausgemacht haben, weil ich diese Verträge nicht kenne und wir mit Pay-TV-Verträgen keine Erfahrungen haben.

Die Fifa sagt, Kirch könne ja die Verträge zurückgeben. Wäre dann die ARD wieder im Rennen?

Da wir interessiert waren, bleiben wir natürlich interessiert.

Falls die WM 2002 im Free-TV stattfindet, liegt das an der Fifa, an Kirch oder an der Vorschrift für Pay-TV-freie Großereignisse, die die Bundesländer planen?

Diese Regelung würde ja nur die Basis abgeben, falls die Beteiligten sich nicht aus anderen Gründen einigen. Die Fifa hat guten Grund, darauf zu bestehen, daß möglichst viele Spiele möglichst viele Menschen erreichen können, ohne daß sie draufzahlen.

Sind Sie sich da sicher?

Ein breites Publikum war Bestandteil der Ausschreibung. Danach mußte garantiert werden, daß 100 Prozent der Territorien, für die man die Rechte erwirbt, Zugang zu den Übertragungen haben. Wir konnten das mit unserer Reichweite garantieren. Wie Kirch diese Garantie erfüllen will, war für mich immer schon ein Geheimnis.

Kann man von der Ausschreibung auf die Verträge schließen?

Ich gehe davon aus, daß die Fifa bei ihren Bedingungen bleibt. Sonst wäre das allerdings ein etwas merkwürdiger Vorgang.

Demnächst entscheidet das Verfassungsgericht über das Recht auf kostenlose Kurzberichterstattung. Erwarten Sie Hinweise für den Pay-TV-Streit?

Das kann man nicht vorhersagen. Es geht aber im konkreten Verfahren nur um Kurzberichterstattung. Das ist etwas anderes als ein teilweiser Verzicht auf Pay-TV. Aus der gesamten Rechtsprechung des Verfassungsgerichts kann man den Vorrang der Informationsfreiheit vor der unternehmerischen Freiheit ableiten.

Wird das Kurzberichterstattungsrecht Bestand haben?

Alles andere würde mich überraschen.

Bislang haben Sie aus Angst vor dem DFB nie von dem Recht Gebrauch gemacht und ihm lieber teure Nachverwertungsrechte abgekauft, damit der DFB Ihnen Rechte für Länderspiele und den DFB-Pokal verkauft. Wird diese Rechnung weiter aufgehen, oder gehen die Rechte 1999 an RTL?

Natürlich brauchen wir diese Rechte, denn wenn Pokal- und Länderspiele wegfielen, stünden ARD und ZDF ziemlich nackt da. Das sieht aber auch der DFB so. Sat.1 hat die Bundesliga, RTL die Champions League und wir die Länder- und Pokalspiele. Daß wir keinen Streit mit dem DFB suchen, ist klar. Kurzberichterstattung bringt aber auch programmlich nicht das, was wir vertraglich sichern konnten.

Darum lassen Sie sich vertraglich verbieten, Spiele zu bestimmten Zeiten zu senden. Ist das kein Eingriff in die Programmhoheit?

Darüber wird stets eingehend verhandelt. Am Ende muß ich mich eben drauf einlassen oder nicht und nehme insofern meine Programmhoheit wahr.

Brauchen ARD und ZDF zusätzliche Einnahmen durch Werbung nach 20 Uhr im Umfeld von Sportereignissen?

Das wäre eine Hilfe zur Entlastung der Gebührenzahler. Man könnte die dramatisch steigenden Preise auf dem Rechtemarkt ein Stück weit finanzieren, ohne daß sich das auf die Rundfunkgebühren auswirken würde.

Wieviel würde es bringen?

Optimal vielleicht 30 bis 40 Millionen im Jahr.

Steigen denn die Preise weiter?

Ich fürchte, daß wir die obere Grenze nicht erreicht haben, wenn es eine solche je geben wird. Die Preise werden vielleicht in den nächsten Jahren nicht mehr so steil steigen wie in den letzten fünf bis sechs Jahren. Dafür spricht auch, daß die Ertragslage unserer geschätzten kommerziellen Konkurrenz nicht so sprunghaft besser wird, wie in den letzten zehn Jahren. Die werden deshalb nicht so viel mehr bieten können.

Viele Politiker wollen ARD und ZDF die Werbung doch ganz verbieten. Wie wahrscheinlich ist es da, daß die 20-Uhr-Grenze bei Großereignissen gelockert wird?

Auf Wahrscheinlichkeiten in der deutschen Medienpolitik setze ich nicht. Aber ich sehe keine sehr ausgeprägte Fraktion für das Werbeverbot. Die Lockerung wäre doch überhaupt kein Problem, weil ja weiter nur 20 Minuten pro Tag geworben wird. Für mich ist diese Art von Werbung verträglicher als manches andere.

Als die schönen Gewinnspiele?

Würde ich schon sagen. Das sollte man in der Tat etwas zurückhaltender angehen, und das werden wir dieses Jahr auch tun. Dagegen ist Spotwerbung in der Pause so üblich, daß es auffällt, wenn sie nicht stattfindet. Interview: Georg Löwisch