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Notizen zur Campus-Saga

Keine Talkshow ohne ihn. Der Professor zum Buch und zum Film. Ganz nebenbei erfindet er noch die Bildungsdebatte. Wer ist eigentlich Dietrich Schwanitz?  ■ Von Malte Hagener

„Die Wirklichkeit der Inszenierung und die Inszenierung der Wirklichkeit“, so heißt schon Dietrich Schwanitz' Habilitationsschrift. Daß sich deshalb bei ihm – dem ehemaligen Anglistikprofessor, dem Roman- und Drehbuchautor und inzwischen hauptberuflichen Uni-Kritiker – vieles um die Ununterscheidbarkeit dieser beiden Kategorien dreht, ist klar. Während er also die Universität immer wieder metaphernreich als Gruselkabinett beschreibt und das Studium dementsprechend als Geisterbahnfahrt, taumelt der akademische Ghostbuster durch das von ihm beschworene Schattenreich und tappt immer häufiger in die von ihm aufgestellten Fallen. Die Medien scheinen dagegen die von ihm gerufenen Gespenster nicht zu bemerken und lauschen nur um so begieriger seiner Wortkunst. Oder will er sich vielleicht selbst der Öffentlichkeit als Selbstbeweis der nicht vorhandenen Grenze zwischen Realität und Imagination darbieten?

Wer ist eigentlich Dietrich Schwanitz? Für die NDR-Talkshow ist er Anglistik-Professor an der Uni Hamburg; die Zeit meldet, er habe seinen Lehrstuhl zurückgegeben; an der Universität bekommen wir die offizielle Auskunft, er sei zum 1.4.1997 aus gesundheitlichen Gründen in den vorzeitigen Ruhestand getreten. Doch ist es nicht irgendwie alles wahr, lehrt er nicht eigentlich noch immer, nur mit anderen Mitteln? Tagtäglich in allen Medien erreicht er endlich all die faulen Studierenden, die sich immer vor seinen Lehrveranstaltungen gedrückt haben und nun abends nach vollendetem Nichtstun Fernsehen schauen. Ja, er hat seine Lehrmethoden revolutioniert und reißt all das studierunwillige, orthographieunkundige Pack aus dem zwölfmonatigen Winterschlaf und noch den Rest der Republik dazu – ein Teufelskerl, dieser Schwanitz.

„Der Campus“: Bestseller, eine halbe Million verkaufte Exemplare, Bernd Eichingers Anruf, Sönke Wortmanns Film, lauter Superlative. Schwanitz' Roman, der vor allem von mittleren und höheren Staatsbediensteten goutiert wird, schildert Intrigen und Sex im Bürokratiestandort Deutschland am Beispiel der Hamburger Universität. Seitdem wird er als Experte für jedes erdenkliche Thema herangezogen, das damit in Zusammenhang gebracht werden kann: egal ob Clintons Sexaffären oder Erotik am Arbeitsplatz – keine Diskussion für die er nicht ein Aperçu parat hätte, keine Nachfrage, die er ohne Bonmot beließe. An Selbstbewußtsein mangelt es ihm dabei sicher nicht, wenn man in einem Brief, der mit seinem Namen unterschrieben ist und an der Universität kursiert, liest, daß „die Rede von Präsident Herzog eine Bildungsdebatte auslöst, die ungefähr der Linie meiner bisherigen Hochschulkritik folgt“ und „die Bildungsdebatte meine bisherige Kritik bestätigen wird“.

Längst ist jedoch die Wirklichkeit der Inszenierung im Roman von der Inszenierung der Wirklichkeit an der Universität eingeholt worden. Unter den Lehrenden formuliert sich Widerstand. In oben zitiertem Brief wird der Plot von „Der Campus“ als Drohmittel benutzt, die Schwanitzsche Fiktion von ihm selbst als logische Konsequenz angekündigt, wenn bestimmte Handlungen unterblieben. Natürlich geht es dabei um viel langweiligere Dinge als den im Roman als Auslöser benutzten Fick auf dem Schreibtisch. Verhandelt wird lediglich der Zugang zum universitären Schreibservice.

Daß zehn Drehbuchfassungen von seiner Schreibkraft am Seminar getippt wurden, ist ein offenes Geheimnis. Angekündigt war das Ganze als Creative-Writing- Workshop unter studentischer Beteiligung. Zwei Teilnehmer dieses Workshops werden auch im Film genannt, doch in einem Interview mit dem offiziell-universitären Verlautbarungsblatt gibt Schwanitz zu Protokoll: „Die Textoberfläche stammt fast ausschließlich von mir.“ Der inzwischen emeritierte Schwanitz hat sein Dienstzimmer nach mehrmaliger Aufforderung räumen müssen und darf den Schreibservice nur noch für bestimmte Aufgaben in Anspruch nehmen, in Zweifelsfällen entscheidet der Universitätspräsident. Dieser hat offenbar die Waffen gestreckt und das Hauptgebäude für die Premierenfeier zu „Der Campus“ freigegeben; man könne doch nichts mehr ändern und nur noch gute Miene zum wie auch immer gearteten Spiel machen.

Die Kritik, so Schwanitz, komme immer zuerst von denen, die sich im Spiegel der Satire erkennen und dann versuchen, den Spiegel zu zerstören. Wer wen im Spiegel sieht und auf wessen Spiegelbild einschlägt, ist inzwischen niemandem mehr klar. Doch nach Schwanitz' brillanter Immunisierungstheorie kommt Kritik nur von der Seite, die er ohnehin im satirischen Blick hatte, bestätigt also wieder seine Ausgangsthese, nach der linke Moralisierungen Denkverbote aufstellten. Da er selbstdieses von ihm entworfene Spiegelkabinett als Zeremonienmeister beobachtet, kann ihn natürlich nur jede Kritik bestärken, jeder zerbrochene Spiegel ihm recht geben. Weil er sich selbst in dem von ihm beschriebenen System für nicht existent erklärt, überquert er auch so frei die Grenze zwischen Tatsachen und Erfindungen – stimmt einmal etwas nicht so genau, dann ist es satirisch überspitzt, paßt es gerade andersherum, dann wird die Fiktion zur präzisen Schilderung der Wirklichkeit. Dabei bleibt unverständlich, wie jemand, dessen berufliche Position ihn perfekt für die Grauzone zwischen Fakten und Fiktionen sensibilisieren sollte, diese Unterscheidung aus den Augen verliert.

Schwanitz' lockerer Umgang mit der Wahrheit zeigt sich beispielsweise in der von ihm mehrfach kolportierten Zahlenangabe von 94 Prozent guter oder sehr guter Noten im Fachbereich Sprachwissenschaft, durch die Prüfungsergebnisse entwertet würden. Nicht daß die offiziell erhältlichen Auskünfte so viel schlechter seien (sie liegen etwas über 70 Prozent), aber die von ihm genannte Zahl kennt im Fachbereich keiner. So paßt auch seine kürzlich erschienene Kulturgeschichte Englands großzügig historische Details der zugrunde liegenden Systemtheorie an. Die Fachzeitschrift Anglia fragt sich dann auch, „ob dieser mit so viel Charme, Esprit und rhapsodischem Elan daherkommende Neuerscheinung überhaupt eine streng wissenschaftliche Besprechung angemessen sei“. Zur Diskussion steht damit auch das Selbstverständnis der Wissenschaft und exemplarisch das eines Professors, der in der Öffentlichkeit diese Rolle ausfüllt – nicht nur Insider, sondern auch noch Wissenschaftler zu sein –, um dann überprüfbare Fakten, einer Theorie oder einfach nur einer rhetorisch-geschliffenen Formulierung hintanzustellen. Damals, als Schwanitz noch lehrte und nachdem der Spiegel die Anglistik der Universität Hamburg in einer Rangliste auf den letzten Platz eingestuft hatte, traf man sich im Philosophenturm auf studentische Initiative zum runden Tisch. So schlimm seien die Verhältnisse dann doch wieder nicht, man müsse sich besser in den Medien darstellen, sagte Schwanitz, er habe da so seine Kontakte. Sprach's und schrieb seinen Roman. Und nun haben wir endlich eine Bildungsdebatte, von der wir damals nur träumen konnten. Schwanitz sei Dank.

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