: Freie Fahrt für blaue Bürger
Brandenburg will rasenden Fahrern seine Alleen opfern ■ Von Ansgar Oswald
Berlin (taz) – Die Brandenburger sind stolz auf Theodor Fontane, der die landschaftliche Schönheit schwärmerisch beschrieb. Doch seit der Wende machen urbane Illusionen in Form von Wohnparks, Einkaufs- und Vergnügungscentren auf der grünen Wiese der Ursprünglichkeit schrittweise der Garaus. Nun sollen auch viele Alleen verschwinden, die selbst vom ADAC zu schützenswerten Refugien der Ausflugsromantik erklärt wurden.
Auslöser der Befürchtung unter den Naturschutzverbänden wie BUND, Naturschutzbund (Nabu) und Grüne Liga, ist der Entwurf eines Runderlasses, den das brandenburgische Verkehrsministerium gemeinsam mit dem Umweltministerium erarbeitet hat. In dem Konzept, das der taz vorliegt, heißt es in verquastem Behördendeutsch, daß „Alleen an Bundes- und stark befahrenen Landesstraßen möglichst unter weitgehender Wahrung des bestehenden Alleencharakters zur Erhöhung der Verkehrssicherheit umzubauen“ sind. Dazu veranlaßt sieht man sich in Potsdam durch die jährlich etwa 2.500 Baumunfälle, die überwiegend durch Autofahrer verursacht werden, die alkoholisiert durch die märkische Landschaft brettern. Rund 300 Raser endeten 1997 tödlich am Straßenbaum.
Nach Angaben der Naturschutzverbände sollen deshalb rund 20.000 Bäume umgesägt werden. Insgesamt säumen etwa eine Million Bäume die 12.000 Kilometer langen Alleen in Brandenburg. Im Altkreis Prenzlau und Rathenow wurden bereits 2.000 Bäume markiert. Für 500 bis 700 Bäume im Elbe-Elster-Kreis steht fest, daß sie verschwinden sollen, weiß Nabu-Geschäftsführer Wolfgang Mädlow. Im Landkreis Potsdam- Mittelmark hat die Straßenmeisterei zwischen Päwesin und Weseram auf einem ein Kilometer langen Abschnitt entlang der deutschen Alleenstraße „voreilig“ vollendete Tatsachen geschaffen, wie der Amtsleiter der Kreisumweltbehörde in Belzig, Bernd Schade, bedauert. Umweltminister Matthias Platzeck ließ am Wochenende mitteilen, daß die Fällungen ohne Zustimmungen seines Ministeriums stattgefunden hätten und forderte einen sofortigen Stopp der Sägemaßnahmen.
„Da ist eine Dienstberatung mit Straßenbehörden an die Öffentlichkeit gelangt“, erklärt der Sprecher des Verkehrsministeriums Rolf Diedrich verlegen. Und sichtlich um Bereinigung der Peinlichkeit bemüht heißt es weiter, daß „insgesamt die Sache dumm gelaufen“ sei. Aber der Runderlaß, versichert Diedrich, sei eben noch keine amtliche Verfügung, sondern nur ein Entwurf. Es gebe lediglich die Anordnung, einzelne Gefahrenbäume zu fällen. Aber es „ist nicht geplant, komplette Alleen abzurasieren“. Und jeder Baum, der gefällt werden müsse, werde auch ersetzt.
Schwache Chance für Ersatzbäume
Nabu-Geschäftsführer Mädlow glaubt dagegen, daß die Fällaktionen durch ein Rundschreiben mit konkreten Anweisungen des Verkehrsministeriums an die Straßenbauämter erfolgten. Als Alleen würden darin nur noch Straßen mit einem gleichaltrigen und geschlossenen Bestand aus mindestens zwanzig Gewächsen in einer Reihe anerkannt. Laut Mädlow werde damit der gesetzlich garantierte Alleenschutz aufgeweicht. Ersatzbäume sollen nur noch 4,50 Meter von der Fahrbahn entfernt und damit meist auf Privatboden gepflanzt werden. Doch wenn die Eigentümer das nicht wollen, kann sie niemand dazu zwingen. An Bundes- und Umgehungsstraßen sind neue Bäume erst gar nicht mehr vorgesehen.
Grund zur Aufregung sieht man im Belziger Kreisumweltamt durch die geänderte Definition einer Allee nicht. Nach wie vor dürfe kein Baum ohne die Zustimmung der Naturschutzbehörde gefällt werden, weiß Schade. Er ist überzeugt, daß Umwelt- und Verkehrsministerium ein „vernünftiges Konzept ausgeklügelt haben, um Naturschutz und Vekehrssicherheit besser aufeinander abzustimmen“ – vorausgesetzt, „es wird vor Ort auch so umgesetzt“.
Naturschutzverbände fordern, Brandenburgs Bäume nicht für die Unfalltoten zu „bestrafen“. Außerdem wollen sie Tempo 80 auf den Überlandstraßen, Leitplanken sowie die Nullpromillegrenze durchsetzen. Laut Ministeriumssprecher Diedrich soll ein Tempolimit in den Alleen-Erlaß eingearbeitet werden. Kommentar Seite 12
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