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Autonomie und Inszenierung

■ Ein Gespräch mit Joel Shapiro, einem der bedeutendsten Plastiker, die sich heute mit der Figuration auseinandersetzen

Im Detail geometrisch klar, mit etwas Abstand chaotisch zerbrochen und als Gesamtform wie tanzende oder stürzende Menschen wirken die Skulpturen des New Yorker Plastikers Joel Shapiro. Zwei seiner Großplastiken stehen momentan vor dem Hamburger Hauptbahnhof, kleinere Arbeiten sind in der Halle K im Galeriehaus am Klosterwall ausgestellt.

Joel Shapiro entwickelte in den siebziger Jahren seine Plastiken aus einem klaren Minimalismus der amerikanischen Schule. Seit der Teilnahme an der documenta VII (1982) psychologisierte er zunehmend dieses Formvokabular. Heute ist er einer der bedeutendsten Plastiker, die sich mit der Figuration auseinandersetzen. Mit der taz sprach der 56jährige Künstler über das Problem der Skulptur zwischen Autonomie und Inszenierung und die begrifflichen Abgrenzungen, in die die Kritik den Ex-Minimalisten drängt.

taz hamburg: Mitten im Galerieraum scheint eine Ihrer schweren Bronzeplastiken gegen jede Schwerkraft an einem Pfeiler hinaufzugehen. Doch sie ist nicht autonom: In der Architektur ist eine aufwendige Verankerung verborgen.

Joel Shapiro: Es kann ja nicht durch Magie funktionieren. Mal sind meine Befestigungen sichtbar, mal nicht. Wichtig ist mir die Simultanität von Einheit und Zerfall. Daß es fallen sollte, aber nicht fällt, gibt der Arbeit die Spannung. Auch wenn es Befestigungen gibt, bleibt die Anmutung von Masse und Gewicht.

Zugegeben: Auch ältere Skulpturen arbeiten manchmal mit Befestigungen...

Ja, Bernini beispielsweise, wie alle Skulpturen, die symmetrisch in den Raum ausgreifen. Aber für die Plastik galt lange Zeit das Ideal, in sich geschlossene Form zu sein und ohne fremde Stützen zu stehen. Was für eine Menge an Schlangen, Säulen und Schwänen wurde einst gebraucht, um die Skulpturen auszubalancieren!

Ihr Kollege Richard Serra arbeitet mit der Schwerkraft, ohne seine Platten extern zu verankern.

Serra denkt mehr architektonisch, ich mehr ikonisch. Was mich interessiert, ist die Subversion von Schwerkraft als das Aufbrechen der üblichen Abhängigkeiten, die die Ausdrucksmöglichkeiten bestimmen.

Ihre Arbeiten haben zwei Schwerpunkte: den optischen und den technischen. Die traditionelle Theorie der Plastik sucht das zu vermeiden, wie auch der Minimalismus der späten sechziger Jahre, der Sie geprägt hat.

Die These des Minimalismus, alle Strukturen offenlegen zu sollen, ist naiv. Auch Architektur hat unsichtbare Fundamente. Da zeigt sich eine rigide Wertigkeit, wie etwa bei der Forderung, nur mit Ziegeln zu bauen. Was die althergebrachte Grammatik von Plastiken angeht, halten viele meine Arbeit schon deshalb für traditionell, weil ich mich mit der Figur befasse. Aber meine Arbeit unterwandert die traditionelle Plastik. Ich entwerfe die Formen im kleinen Modell und benutze sie in unterschiedlichen Bezügen. Dazu kommt die Referenz zum umgebenden Raum.

Daß meine frühe Arbeit sehr reduziert und selbstreferentiell war, stimmt. Dann aber habe ich mehr Emotionen hinzugefügt und fand das interessanter und provozierender – wenn Sie das theatralisch finden, stimme ich zu. Ich finde das lebendiger. Depressive Arbeiten kann jeder herstellen, das ist ziemlich einfach. Es ist eine Art von seltsamen Calvinismus in der Aussage: Wenn's befestigt ist, ist es nicht richtig. Kunst auf solche Art in Gut und Böse einzuteilen, ist bullshit.

Sind Sie wegen dieser Rigidität von den Positionen des Minimalismus abgerückt?

Reiner Minimalismus ist so stumpfsinnig, begrenzt und feige, ein Abschneiden von Erfahrung. Am Anfang war er radikal, jetzt ist er zum Dekor geworden. Da heißt es, Eisenguß ist gut weil elementar, Bronzeguß ist schlecht, weil politisch belastet...das sind alles kleinliche Eingrenzungen. Manches kann als Holz gar nicht bestehen, deshalb muß es gegossen werden. Dazu setze ich emotionale Farbwerte ein. Und schon gibt es wieder Festlegungen: Holz als plastisches Material soll besser natürlich bleiben, und wenn Du es bemalst, ist es konzeptuell. Man muß solches Kunstvokabular benutzen und kombinieren. Wenn es dann inszeniert wirkt, was ist falsch daran?

Fragen: Hajo Schiff

Barlach Halle K, Klosterwall 13, Di – Sa 12 – 18 Uhr, bis 22. März

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