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gold! Gold! GOLD! – Go West!

Vor 150 Jahren wurden in Kalifornien ein paar Körnchen Wahrheit gefunden. Unentwegte suchen immer noch danach: Schürfen als Frischluftgaudi mit Tradition. Glückliche Tage in Happy Camp  ■ Von Stefan Schomann

Warnung: Goldfieber wird durch den bloßen Anblick übertragen. Gold scheint verführerisch, funkelt, gleißt... Nein, viel zu harmlos formuliert. Gold blendet – erregt – betäubt! Es macht sprachlos! Führt ins Delirium! Macht abgöttisch verliebt!

Bill, der alte Gold-Junkie, hat es aufgegeben, seine Schüler davor zu warnen. Es ist immer das gleiche: Ob sie aus Neugier oder Langeweile kommen, alle behaupten sie, sich nichts daraus zu machen. Und kaum haben sie ihr Schnupperseminar in Happy Camp absolviert und ein paar Krümel gefunden oder auch nur beim Nachbarn in der Rinne glitzern gesehen – da hat es sie erwischt. Wohin auch immer sie nun fahren, sie werden unter den lächerlichsten Ausreden in jedem Bach und an jedem Steilhang buddeln. Bill und sein Club, die New 49ers, leben davon, andere ins Glück zu stürzen.

Neun wackere Yankees und zwei Japaner treten heute an. Bill, ein flinker, stämmiger Kauz, führt sie zum Klamath River, um sie erst einmal mit dem wissenschaftlichen Fundament vertraut zu machen. „Das Zeug entstand vor ein paar Millionen Jährchen im Erdinneren und wurde durch Vulkane an die frische Luft gesetzt. Durch die Erosion kam es in die Flüsse. Zum Beispiel in den Klamath.“ Bill zückt seine Pfanne, schaufelt Schlamm und Wasser hinein. Eigentlich sei ja jetzt Geologie dran, brummt er. „Aber wir wollen mal 'n bißchen Ufersand untersuchen, wird natürlich nichts drin sein, obwohl, das weiß man nie.“ Schwung, Schwung, Schwung. „Manchmal ist der Klamath wie verhext, trotzdem wir natürlich Wert darauf legen, daß unsere Claims nachweislich Gold führen, nur findet man's nicht immer gleich – ja potz Blitz! Was haben wir denn da? Seht ihr! Ich hab's ja gleich gesagt!“ Der Teller macht die Runde. Ein paar Körnchen Wahrheit dümpeln im feinen schwarzen Sand. Die Novizen sehen schweigend viel zu lange hin. Sie tragen Baseballkappen und großkarierte Hemden – brave Bürger, Beamte, Pensionäre und ein Drei-Sterne-General, deren Leben einen Schuß Abenteuer vertragen kann. Bill schickt sie bald zurück, soll Dave sie übernehmen. Dann stiefelt er bis zum Abend um den Fundort. Er wäscht und wäscht. Aber findet nichts mehr.

Am Klamath liegt das Hauptquartier der New 49ers. Sie gaben sich ihren Namen nach den Goldrauschtagen von anno 1849. Hinter Sacramento, in einer vom American River abzweigenden Rinne, hatte der Zimmermann James Marshall im Januar 1848 etwas funkeln sehen. Hier oben in den Siskiyou Mountains war das Fieber erst zwanzig Jahre später ausgebrochen und hatte weniger stark gewütet. Hier gibt es vielleicht noch was zu holen, weshalb der Club die Schürfrechte gepachtet hat. Ausgerechnet Happy Camp: Das Nest heißt wirklich so, die ersten Goldgräber sind wohl mit vollen Taschen fortgegangen. Wer hier graben will, muß Mitglied werden. Das lassen sich 600 Hartgesottene jährlich 3.000 Dollar kosten; für die Ausrüstung fällt noch mal soviel an.

Denn es bleibt nicht bei der Pfanne, rasch greifen sie zu stärkeren Mitteln. Zu Highbankern etwa, Rüttelmaschinen mit Umlaufpumpe, in die man nur noch das Gestein schaufeln muß. Andere suchen die Ufer mit Metalldetektoren ab. Die besten Chancen aber haben Taucher wie Bob und Phyllis Higgenbothem.

Zumindest im Prinzip. Denn diese Saison lief's nicht – was Profis nur in ihrem Glauben bestärkt, daß der große Fund noch bevorsteht. Den Bleigürtel um den himmelblauen Anzug geschnallt, taucht Phillys auf den Grund, um mit einer Art Steinsauger metertiefe Löcher auszuheben. Die Schlacke landet oben bei Bob auf einem Plastikfloß, wo sie über Kaskaden wieder ins Wasser gespült wird, während die sechsfach schwereren Goldstücke zurückbleiben. Keine Nuggets, groß und knusprig wie Cornflakes. Der Klamath führt nur zarte Plättchen.

Die Higgenbothems kommen hörbar aus Neuengland, wo sie eine schmucke Villa hatten. Doch der viele Schnee wurde ihnen lästig, immerhin sind beide über Siebzig. Nun hausen sie in einem Container, der huckepack auf ihren Pick-up paßt. Damit pendeln sie zwischen Happy Camp und Arizona, wo sie zwei weitere Clubmitgliedschaften pflegen. Der Campingplatz am Klamath beherbergt eine Reihe solch ungebundener Existenzen. Ihr Nachbar zog hierher, als die Ärzte Krebs diagnostizierten und ihm rieten, er solle nur noch tun, was ihm Spaß mache.

Innerhalb weniger Jahre wuchs die amerikanische Dachorganisation der Goldsucher von 5.000 auf 100.000 Mitglieder an. Als Hobby, als Frischluftgaudi mit Tradition wird Schürfen wieder populär. Ein Teil dieser Leute aber versucht ernsthaft bis verzweifelt, davon zu leben: Arbeitslose, Träumer, Jäger des verflossenen Schatzes. Die lassen sich nicht entmutigen, wenn ihnen Phyllis die Ausbeute der letzten Monate zeigt: einen halben Fingerhut voll Glück. Marktwert 200 Dollar.

Denn das schaffen andere an einem guten Tag. Dave McCracken und seine Truppe von den 49ers sind doch der Beweis dafür. Ihre Steinsauger haben den Durchmesser eines Ofenrohres. Daß sie Unsummen investierten, daß sie Berufstaucher sind, deren großkalibrige Körper es aushalten, von früh bis spät im kalten Wasser zu wühlen, wird verdrängt. Zudem ist die Goldwäscherei nur ein Teil von Daves Imperium, das die Leitung des Vereins, den Laden und Versandhandel für Ausrüstung aller Art sowie einen Verlag umfaßt. Außerdem erhält er als Vertragsprospektor hochdotierte Aufträge von Indonesien bis Venezuela.

Die Ausstatter und Manager machen am ehesten Gewinn, das war in den Tagen der alten 49ers nicht anders. Als die halbe Welt sich in ein Land aufmachte, das ein Jahr zuvor noch eine verschlafene mexikanische Provinz gewesen war. Für die Indianer bedeutete der Goldrausch eine Katastrophe, die Stunde Null des weißen Kaliforniens war für sie beinah schon die letzte. Bald darauf verschwanden die Goldsucher wieder, aus ihren eilig hochgezogenen Quartieren entlang der „Mother Lode“, der imaginären Hauptader, wurden Geisterstädte.

Doch seit etwa zwanzig Jahren kehrt neues Leben ein. Beiderseits des Highways, der sinnigerweise die Nummer 49 trägt, wurde der Tourismus im großen Stil als Goldgrube entdeckt. Zudem setzen sich verstärkt Senioren im stillen Hügelland zur Ruhe. Allein nach Coloma pilgern jährlich 350.000 Menschen, während des Höhepunkts des Goldrauschs kam nur ein Bruchteil davon.

Als James Marshall, Zimmermann in Sutters Sägemühle, die glitzernden Körnchen aufhob, löste er ein Zeitbeben aus, das bis heute nachwirkt. Seither ist Amerikas Kompaß auf Westen geeicht. Es muß dieses historische Erbe sein, das die Besucher von Coloma veranlaßt, prüfend mit den Händen durchs Wasser zu streichen. Das sie zurück zu ihren Autos treibt, wo sie Zahnputzbecher oder Pappteller hervorkramen, mit denen sie zu pritscheln beginnen. Daß das just an dieser Stelle schon ein paar andere taten, beirrt sie nicht im geringsten. Dann gehen sie höchstens über die Brücke ans gegenüberliegende Ufer. Sie hocken im Wasser und machen sich schmutzig. Sie vergessen den Hund auf dem Rücksitz, ihre Kinder auf dem Spielplatz und die Verabredung für das Abendessen. Es hat sie erwischt. Kalifornien war, ist und wird sein: das Land der Optimisten.

INFO: The New 49ers, P.O. Box

47, Happy Camp, CA 96039,

Tel.: 001-916-4932012

El Dorado County Chamber of

Commerce, 542 Main Street,

Placerville CA 95667,

Tel.: 001-916-6262344

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