■ Irak-Krise: Die USA setzen auf Krieg. Damit desavouieren sie nicht nur die UNO. Sie befördern auch eine Militarisierung der Außenpolitik. Und schüren neuen, alten Widerstand gegen sich selbst: Das Ende der Diplomatie
Es hat nicht lange gedauert. Gerade erst hat sich die Öffentlichkeit daran gewöhnt, Waffen im Zusammenhang mit Krisenintervention als humanitäre Instrumente zu betrachten, da wird auch schon einem Angriffskrieg ein hoher ethischer Wert beigemessen. Die wenigen, die mit dem schnellen Wandel des Zeitgeists nicht Schritt halten können, müssen sich im Deutschen Bundestag moralische Verkommenheit vorwerfen lassen.
Die Irak-Krise läßt sich nicht mit der Situation vor dem Golfkrieg vergleichen. Damals ging es darum, ein völkerrechtswidrig besetztes Land im Auftrag der Vereinten Nationen zu befreien. Heute geht es darum, einen Diktator zur Kooperation mit der UNO zu zwingen, die ausgerechnet durch diesen Militärschlag zur völligen Bedeutungslosigkeit herabgewürdigt würde.
Alle moralischen Argumente für einen Angriff auf den Irak sind Nebelkerzen. Es ist wahr, daß Saddam Hussein ein menschenverachtender Diktator ist, der vermutlich über Massenvernichtungsmittel verfügt und regelmäßig UNO-Resolutionen mißachtet. Da ist er nicht der einzige. Wenn diese Tatbestände zur Legitimation eines Militärangriffs ausreichen, dann haben US-Bomber eine Menge Arbeit vor sich. Warum nicht gleich von Bagdad aus weiterfliegen in den Iran?
Natürlich sei eine diplomatische Lösung der Krise wünschenswert, betonen auch Befürworter eines möglichen Militärschlags. Aber Vermittlungsversuche dürften nicht „zahnlos“ sein. Drohungen „ohne Schwert“ seien zur Erfolglosigkeit verdammt. Damit wird allen Missionen, über denen nicht das Damoklesschwert eines möglichen Angriffs schwebt, das Scheitern prophezeit – und Staaten, die das Völkerrecht verletzen, gleichzeitig achselzuckend bescheinigt, daß sie daran ohne Anwendung militärischer Gewalt nicht zu hindern sind. Nach dieser Logik macht Diplomatie nur noch zwischen befreundeten Staaten Sinn. Also gar nicht mehr.
Bei der Gründung der Vereinten Nationen stand die Erkenntnis Pate, daß Krieg nicht mehr die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln sein dürfe. Auch wenn viele einzelne UN-Mitgliedstaaten seither Kriege geführt haben, so wurde doch das moralische Postulat niemals aufgegeben. Wenn die USA im Alleingang den irakischen Diktator aus dem Amt bombten, dann würde die Weltordnung dadurch ebensowenig verändert wie seinerzeit durch die militärische Intervention Washingtons auf der Karribikinsel Grenada.
Aber die USA machen eben keinen Alleingang, sondern nehmen ihre Bündnispartner in die Pflicht. Damit übertragen sie die Rolle der ordnenden Weltorganisation von der UNO auf die Nato.
Politiker und Leitartikler denken in Washington laut darüber nach, ob die Vereinigten Staaten nicht ihr militärisches Engagement in Europa verringern sollten, wenn sie ihrer Enttäuschung über mangelnde Unterstützung mancher Verbündeter in der Irak-Krise Ausdruck verleihen. Die parteiübergreifende Solidarität in Bonn mit den Vereinigten Staaten muß auch vor dem Hintergrund gesehen werden, daß demnächst ein neues Mandat für Bosnien erteilt werden soll und für die militärische Operation dort die weitere Präsenz der Amerikaner unabdingbare Voraussetzung ist.
Militärinterventionen mit humanitärem Ziel ohne ausdrückliches Mandat der UNO wären noch vor kurzem ein politischer Eklat gewesen, den nicht einmal die letzte verbliebene Weltmacht riskiert hätte. Selbst für die zunächst gar nicht heikel erscheinende Mission, in Somalia Nahrungsmitteltransporte militärisch sichern zu lassen, holten sich die USA 1992 den Auftrag des Weltsicherheitsrats – und das, obwohl es in dem ostafrikanischen Land keine Regierung gab und die von den USA angeführte Operation damals weltweite Zustimmung fand.
Heute ist aus der Sicht Washingtons nicht einmal für einen so umstrittenen Einsatz wie der mögliche Angriff auf den Irak ein ausdrückliches Mandat der Vereinten Nationen erforderlich. Dramatischer läßt sich die Weltorganisation nicht desavouieren. Wäre es nicht redlicher, die Zentrale der Vereinten Nationen in New York gleich abzuschließen und den Schlüssel wegzuwerfen?
Nun vertritt die US-Regierung allerdings die Ansicht, ein Angriff auf den Irak sei bereits durch UNO-Resolutionen gedeckt. Unabhängig davon, ob das stimmt oder nicht, kann diese Bewertung aber nicht von den USA allein vorgenommen werden. Die Auslegung ist Angelegenheit des Weltsicherheitsrats. Mit China und Rußland sitzen dort zwei mächtige Gegner eines Militärschlags gegen den Irak.
Handeln die USA gemeinsam mit Nato-Partnern gegen den erklärten Willen von Peking und Moskau, dann wird nicht nur die UNO irreparabel beschädigt, sondern auch altes Mißtrauen gegen das Militärbündnis neu geschürt. So würde gleichzeitig mit einem Schlag alles gefährdet, was in den letzten Jahren an vertrauensblidenden Maßnahmen zwischen dem Militärbündnis und Rußland stattgefunden hat.
Zu glauben, Zustimmung zu westlichen Werten oder dem westlichen System lasse sich herbeibomben, ist ein tragischer Irrtum. Seit Jahren schon verwechseln Europa und die USA die weltweite Sehnsucht nach den materiellen Errungenschaften der Moderne mit einer prinzipiellen Übereinstimmung in politischen Grundfragen.
Die Publizistin Sibylle Tönnies hat am 12. Februar in der taz geschrieben, die Unterwerfung unter die Macht der USA diene dem Weltfrieden, weil sie den Ansatz für eine Weltzentralmacht biete. Das nun eben gerade nicht. Je mehr der Rest der Welt Unterdrückung durch den Westen fürchtet, desto mehr Zulauf erhalten Bewegungen, die dagegen Widerstand leisten. Islamischer Fundamentalismus ist dafür nur ein Beispiel. In Somalia haben die USA seinerzeit die Anhänger des schon fast entmachteten Kriegsfürsten Farrah Aidid in die Solidarität zurückgebombt.
Dieses Szenario kann sich nun wiederholen. Nichts kann Saddam Hussein soviel Solidarität verschaffen wie ein militärischer Angriff auf Bagdad. Ob Saddam Hussein am Ende geschwächt oder gar gestärkt aus einem Krieg hervorgeht, ist eine noch völlig offene Frage. Bettina Gaus
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