: Deine Adresse als Rohstoff
Geld verdienen mit Personendaten: Bis zu 35 Millionen Anschriften lagern bei einer Firma. Wer der Weitergabe nicht ausdrücklich widerspricht, wird verkauft ■ Von Klaus-Peter Görlitzer
Frankfurt/Main (taz) – „Sehr geehrter Herr Meyer“, informiert die Klassenlotterie-Einnahmestelle per Werbebrief, „Herr Günther hat mich beauftragt, ausgewählte Lose für Sie zu reservieren.“ Von Herrn Günther hat Herr Meier noch nie etwas gehört. Trotzdem, das beigelegte Los mit dem rotumrandeten Aufdruck „Georg Meier hat staatlich garantierte Gewinnchancen von bis zu 97 Prozent“ lockt: antworten, mitspielen und – bezahlen.
Die Kette solch ungebetener Angebote ist unendlich, an jedem Werktag stecken in Deutschlands Briefkästen rund 15 Millionen adressierte Werbeschreiben, Tendenz: steigend. Die von Versandhäusern, Versicherungen bis hin zu Hilfsorganisationen umworbenen Menschen reagieren unterschiedlich: Die große Mehrheit schweigt, aber bis zu fünf Prozent geben die sogenannte „Response“, die sich der Absender erhofft: Sie bestellen, bezahlen, bitten um einen Beratungstermin, fordern Produktproben an, wünschen einen Vertreterbesuch oder ordern weitere Informationen.
Ungezählte Adressaten ärgern sich, Beschwerden erreichen Verbraucherverbände und Datenschutzbeauftragte regelmäßig. Das Unbehagen provoziert Fragen: Woher haben die bloß meine Adresse? Was wissen die alles von mir? Meist ist die Antwort verblüffend: Der Angeschriebene höchstpersönlich hat seine Daten preisgegeben – ohne es zu merken.
Im Alltag hinterlassen Menschen reichlich Datenspuren, denen Adressenhändler systematisch folgen. Ein Anlaß, an dem praktisch kein Haushalt vorbeikommt, ist die Beantragung eines Telefonanschlusses. Wer die Rückseite des Formulars der Deutschen Telekom AG nicht genau liest, ist bereits werbedatenspendeverdächtig. Denn erstens entgeht ihm der Hinweis, daß seine Name und seine Anschrift sowohl in Telefonbücher als auch in elektronische Verzeichnisse (CD-ROMs) aufgenommen werden. Zweitens verpaßt er, daß diese Informationen „von jedermann für Werbezwecke genutzt werden“ können. Und drittens übersieht der Kunde die kleingedruckte Erläuterung, daß er alledem widersprechen kann.
Schweigt der Antragsteller, gilt dies als Einwilligung – und darüber können sich Werbewillige freuen. Warum, erklären die Datenschutzbeauftragten von Niedersachsen, Hamburg und Bremen in ihrer Informationsschrift zum Adressenhandel: „Diese Datensammlung“, warnen sie insbesondere vor der Telefonkunden-CD-ROM, „kann zur Grundlage von Personendaten gemacht werden, in die Schritt für Schritt Daten aus anderen Quellen hinzugegeben und personenbezogen verknüpft werden.“ So passiert es denn auch, und davon lebt eine ganze Branche. Ihre Dienstleistung ist es, den „Rohstoff Anschrift“ vielfältig zu ergänzen. Computerunterstützt erstellen sie Listen, die Personen mit werberelevanten Eigenschaften ausweisen. Die Zielgruppen-Daten werden in dicken Katalogen feilgeboten, je detaillierter die Zusatzinformationen, desto höher die Preise. Tausend Anschriften kosten zwischen 100 und 1.000 Mark Miete pro Werbeaktion. Allein die Schober Direktmarketing GmbH + Co., eine der Großen im Sammelgewerbe, verfügt nach eigenen Angaben über 35 Millionen Privatadressen, die ständig aktualisiert werden. Unternehmen, die gezielte Kommerzeinsätze planen, können bei Schober selektieren „nach Geschlecht, Alter, Kaufkraft, Wohnsituation, Konsumschwerpunkten, Postkaufneigung“. Hinzu kommen noch fünf Millionen Firmenanschriften, die ebenfalls keine Wünsche offenlassen sollen.
Zwecks Erstellung ihrer Listen bedienen sich die Adressenjäger aus vielen Quellen. Grundbücher, Schuldner- und Konkursverzeichnisse oder Prominentennachschlagewerke helfen routinierten Sammlern, Finanzkraft, Kreditbedarf und Zahlungsmoral der Werbeadressaten einzuschätzen. Vereinsregister lassen auf konsumrelevante Hobbys der Vorstandsmitglieder schließen. Wer sich in Lebenslagen befindet, die zusätzlichen Bedarf wahrscheinlich machen, outet sich in Zeitungen und Anzeigenblättern.
Deshalb lesen Adressenprofis Annoncen von Geburten und Hochzeiten sehr sorgfältig, dies gilt auch für Suchinserate nach Auto, Eigenheim oder größerer Wohnung. Branchenverzeichnisse und Handelsregister helfen, Firmen und Gewerbetreibende ausfindig zu machen.
Zu den klassischen Adressenhändlern gesellen sich weitere Anbieter, die man in diesem Geschäft nicht unbedingt erwartet. Das beginnt mit dem Großversand, der über einige Millionen Käuferanschriften inklusive Angaben zu Bestellgewohnheiten und Reklamationsverhalten verfügt und diese persönlichen Daten vermarktet. Es geht weiter mit Unternehmen, die Adressen von Kunden anbieten, die spezielle Produkte erworben haben, etwa Wein, teure Kosmetika, bestimmte Medikamente, Kreditkarten, Pferde, Motoryachten oder Autozubehör. Obendrein verkaufen einige mehr oder minder wohltätige Vereine und Organisationen Anschriften ihrer Förderer. Last but not least mischen im Adressengeschäft auch Marketingagenturen und Firmen mit, die mit Hilfe wissenschaftlich gestylter Umfragen umfangreiche persönliche Informationen zusammentragen.
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