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Viele kluge Männer

Von wegen „War Zone“: Die Dokumentarfilmerin Maggie Hadleigh-West beobachtet, gegen ihren Willen, die erotischen Codes in den Straßen von New York  ■ Ulf Erdmann Ziegler

Die ganz gewöhnliche New Yorker Straße hält die Autorin dieses Films, Maggie Hadleigh- West, für eine Kriegszone. Sie sieht sich umstellt von Männern aller Klassen und aller Rassen, die nach ihr schnalzen und nach ihr pfeifen, ihr auf den Busen starren und ihren Hintern betatschen wollen. Unterwegs mit einer Kamera, die sie selbst hält, und einer weiteren Kamera in den Händen einer unsichtbaren Person, spricht sie Männer auf ihre womöglichen Übertretungen an. Aus rund tausend Gesprächen hat sie gut fünfzig zu einem Film zusammengeschnitten, der auf dem Forum gut besucht ist, und zwar von Männern und Frauen gleichermaßen.

Selbstverständlich gibt es Männer, die die Kamera-Attacke abwehren. Sie bekommt ein paar knapp gefaßte, rohe Antworten von Bauarbeitern, die sich von der akademischen Tante in ihrem Lederdreß ungern belehren lassen. Es gelingt Hadleigh-West sogar, einen schwarzen Fundamentalisten aufzutreiben, der ihr ungehalten erklärt, daß Frauen zu schweigen haben. Viele Männer kapieren sehr wohl, daß es sich um eine Umkehrsituation von Anmache handelt; manchen ist es peinlich, andere fühlen sich überaus geschmeichelt.

Vor allem geben sie verblüffende, oftmals geradezu geschliffene Antworten auf die stereotypen Fragen, mit denen sie konfrontiert werden. Einen Rest von Selbstironie muß die Autorin sich bewahrt haben, wenn sie eine Szene mit einem schwarzen Mann in ihrem Film verwendet, dem sie vorwirft, sie angestarrt zu haben; und er bringt kichernd heraus, daß er schwul sei. Ein anderer, ebenfalls afroamerikanisch, beantwortet die Frage, ob ihm „auf seinen Penis geschaut“ würde, ernst, aber ohne jede Hysterie, daß das durchaus der Fall sei – und zwar von Männern und von Frauen. Einer geißelt die impertinente Fragerin als „Nazi“. Ein alter Herr, dem die Filmemacherin vorhält, er sei ein Fremder und für sie gefährlich, versteht die Welt nicht mehr: „I am not a stranger. I've been living here for 79 years.“ Einem Weißen in ihrem Alter referiert sie, daß Männer physisch überlegen seien. Er blinzelt in Richtung ihrer bemerkenswerten Armmuskulatur und stellt die These für den konkreten Fall treffend in Frage. Viele Männer erklären ihr in gewählten Worten die Riten des Balzens und des Flirts. Manche haben dabei ein Leuchten in den Augen, das allein den Besuch des Filmes lohnt. New York hat viele kluge, begehrenswerte Männer.

Davon allerdings möchte sie aber – gegen ihr eigenes Material – nichts wissen. Für sie ist es in jedem Fall eine sexuelle Belästigung, wenn ein Mann zu einer Frau sagt: „Wie geht's?“ Doch weil die Straße damit nicht so gefährlich ist, wie sie das unterstellt, werden dem Film bedrohliche Kameraschwenks unterlegt und illegitime Versatzstücke eingefügt: neben einem fiktiven Exhibitionisten die (authentische) Notruf-Aufnahme eines grauenhaften Einbruchs, der auf eine hörbare Vergewaltigung hinausläuft; eine absolut üble akustische Montage, die suggerieren will, das Verbrechen und die langen Blicke auf der Straße seien ein und dasselbe. (Im Nachspann berichtet sie korrekt, der Vergewaltiger sei aufgrund der Bandaufnahme gerichtlich verurteilt worden.)

Die vielen Komplimente, die sie ihren Gesprächspartnern auf der Straße abgenötigt hat, kassiert sie als narzißtische Beigabe. Wenn sie ihr eigenes Projekt restlos ernst nehmen würde, müßte sie ihrem Fundamentalisten folgen. Es käme auf die Verschleierung heraus.

Ihr Projekt ist, ganz bewußt, eins der Rache. Sie will beweisen, daß die Gesellschaft nicht zivil sei, und zeigt doch, wie zivil sie tatsächlich ist.

Forum: heute, Akademie der Künste, 22.15 Uhr

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