piwik no script img

Next Stop NaganoBorn to be wild

■ Der Fernsehsender CBS regiert Olympia, seine Angestellten regieren die Medien-Bar

Das Yanagimachi Media Village, in dem ein großer Teil der in Nagano anwesenden Journalisten haust, ist nicht unbedingt ein heimeliger Ort. Dafür gibt es so ziemlich alles, was ein Olympia-Berichterstatter benötigt: Bank, Waschsalon, Cafeteria, Restaurant, ein paar Computerterminals, um sich in Info 98, das nützliche Informationssystem der Spiele, einzuklinken.

Die Wohneinheiten bestehen aus vier Zimmern, für die jeweils eine Küche und ein Bad zur Verfügung stehen, und wenn draußen frischer Schnee liegt, ist der Blick auf die gegenüberliegenden Häuschen und die Berge in der Ferne gar nicht übel. Hat man Glück, kann man sogar Nachbars Katze beim Mausen zuschauen. Mausen ist nicht ganz der richtige Ausdruck, aber weiß der Himmel, wie das heißt, wenn Katzen einem Vogel nachstellen.

Im allgemeinen geht es im Mediendörfchen sehr gesittet zu, nur eine Sache fällt vollkommen aus dem Rahmen: die Bar. Diese ist komplett in der Hand von CBS, dem US-amerikanischen Sender. Manche sagen: Wie Olympia überhaupt. Jedenfalls wagen sich nur ganz hartgesottene Fremdlinge hinein. Das Etablissement ähnelt in hohem Maße jener Bikerkneipe, in der die Leningrad Cowboys „Born to be wild“ spielen müssen, um heil wieder rauszukommen, oder der Spelunke, in der die Blues Brothers „Rawhide“ hinter einem Gitter intonieren.

Bis zur Splatter-Kaschemme aus „From Dusk till Dawn“ ist es nur noch ein kleiner Schritt. Der maskuline Teil der Gästeschaft im CBS-Territory sieht eher aus wie Roadies einer Rockband als Leute vom Fernsehen. Aber um so etwas ähnliches handelt es sich ja auch: Techniker, Kameraleute, Sportreporter. Massenhaft gibt es Frisuren und Barttrachten zu bestaunen, die anderswo schon vor zwanzig Jahren aus der Mode gekommen sind. Ziegen- oder Vollbärte, lange Mähnen, die, zum Pferdeschwanz gebündelt, hinten durch die Öffnung der Basecap gestopft werden oder einfach offen über die Schulter hängen wie bei Freewheelin' Franklin.

Der Typ „Fat Freddy“ kommt auch nicht zu kurz, und manche Männer tragen Unterhemden, damit man ihre zahlreichen Tätowierungen sieht. Die Frauen wiegen nicht wenig, lachen gern dreckig, und die Haare auf den Zähnen sieht man ihnen von weitem bei geschlossenem Mund an. Schon zu früher Stunde herrscht ein Höllenlärm, und es wird gequalmt, daß die Lungen pfeifen. CBS ist offenbar eines der letzten Refugien für freilebende Raucher in den USA, vermutlich ist es sogar Einstellungsvoraussetzung, daß man pro Tag mindestens eine Schachtel wegquarzt.

Die Bar selbst ist in Rotlicht getaucht, und an einer Seite prangt das riesenhafte Porträt eines Sumo-Ringers. Auf die gegenüberliegende Wand ist in großen Lettern eine Getränkekarte gemalt, praktischerweise kostet jeder Drink 500 Yen (rund sieben Mark). Nur die alkoholfreien sind billiger, aber die will sowieso niemand.

Mit fortschreitender Zeit erscheinen in rascher Folge immer mehr CBS-Leute in ihren von Nike gesponserten schwarz-roten Joppen und beginnen zügig, sich Alkoholika zuzuführen. Im angrenzenden Restaurant sind zu diesem Zeitpunkt kaum noch Gespräche möglich, denn Unterhaltungen führt der CBS- Mensch, vielleicht weil er im Studio immer die Klappe halten muß, grundsätzlich brüllend.

Die japanische Barbesatzung hat sich den Gästen vorzüglich angepaßt. Hinter der Theke dröhnt aus einem Ghettoblaster phonstarke Blues- und Metal- Musik, derweil die jugendliche Barkeeperin so routiniert mit diesen Stammgästen flirtet, als habe sie hundert Mae-West- Filme gesehen. Wie lange das bizarre Treiben währt, ist ungewiß, da sich noch keine Augenzeugen gefunden haben, die das Ende der CBS-Nacht sahen. Vielleicht sind sie ja bloß nicht lebend rausgekommen. Matti

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen