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Neun Leben hat die Katze – aber wie viele hat der Frauenfilm?

■ Frauen in der Filmindustrie: Darin war Deutschland in den achtziger Jahren international führend. Bei der diesjährigen Berlinale sind jedoch kaum noch Regisseurinnen vertreten

Seit einigen Jahren kursieren bei den Berliner Filmfestspielen Flugblätter mit dem Titel „Haben Sie heute schon einen Film von einer Frau gesehen?“ Dafür verantwortlich sind der Verband der Filmarbeiterinnen und der Verein Blickpilotin. Auf den diesjährigen Wettbewerb bezogen würde die Antwort auf die Flugblatt-Frage meistens „Nein“ lauten, und auch im Panorama und im Forum laufen überwiegend Filme von Männern. „Ich bin empört und besorgt. Denn es hat Zeiten gegeben, wo die Frauen viel besser bei der Berlinale vertreten waren“, sagt die Regisseurin Jutta Brückner. Ihr Film „Bertolt Brecht – Liebe, Revolution und andere gefährliche Sachen“ war gerade im Berlinale-Forum zu sehen.

Ende der Siebziger strebten zahlreiche Regisseurinnen ins Filmgeschäft, denen es vor allem auf die Umsetzung ihrer Qualitätsvorstellungen von Film ankam. Es war die Zeit des Autorenfilms, die Filmindustrie stand auf vergleichsweise schwachen Beinen. Inzwischen hat sich das Blatt gewendet: Die Industrie dominiert das Feld und verlangt, daß sich die Filmschaffenden dem gerade erfolgreichen „Prototyp“ anzupassen hätten, wie Jutta Brückner beklagt, Professorin an der Berliner Hochschule der Künste.

Soweit Regisseurinnen bereit seien, diesem Muster zu folgen, kämen sie durchaus zum Zuge. „Eingebrochen sind hingegen diejenigen, die über andere Wirklichkeiten erzählen wollten, und das auch noch in einer anderen ästhetischen Form.“ Das Publikum verlange „Märchen für Erwachsene“ in einer Zeit, in der viele Ängste kursieren. Viele Frauen haben sich daher dem Genre-Kino und dem Fernsehen zugewandt, erklärt Jutta Brückner die mangelnde Präsenz von Regisseurinnen auf der Berlinale. Und eines dürfe nicht vergessen werden: Geldgeber bevorzugen Männer. Die Mühen vieler Frauen, ihren Film zu finanzieren, seien enorm.

Davon kann Ula Stöckl ein Lied singen. Ihr Film „Neun Leben hat die Katze“ von 1968 gilt als erster feministischer Film in Deutschland. Das Kino Arsenal in Berlin- Schöneberg widmet ihr im März eine Werkschau. Doch seit acht Jahren hat sie keinen Film mehr machen können. Als Grund führt sie an, daß die Filmförderung jedem vorschreibt, sich einen Produzenten oder eine Produzentin zu suchen. Das gilt zwar für Regisseure und Regisseurinnen gleichermaßen, doch Stöckl meint: „Als Frau finde ich es unverzichtbar, wenigstens Co-Produzentin zu sein, damit meine eigene Perspektive erhalten bleibt.“ Filmemachen sei so ein „hanebüchen hartes Geschäft“, daß sie wenigstens wissen wolle, wofür sie kämpfe.

Seit Jahren sitzt Ula Stöckl als eine von vier Frauen im elfköpfigen „Beratenden Auswahlgremium“ für den Wettbewerb bei der Berlinale. Warum hat es diesmal nur eine Frau geschafft? „Jahrelang hat man von Frauen verlangt, daß sie Mainstream-Filme machen sollen. Jetzt haben sie sich darauf eingelassen und müssen sich daran messen lassen“. Solange es im Reglement der Berlinale keine Quote gebe, könne sie nur für etwas kämpfen, was tatsächlich auch vorhanden sei. Doch die Zahl der eingereichten Filme von Regisseurinnen ist in den letzten Jahren drastisch zurückgegangen. Eingereicht werden die Filme übrigens nur von den Produzenten.

An Zahlen zum Thema „Frauen in der Filmindustrie“ ist nur schwer heranzukommen. Regina Eichen vom Frauenfilmfestival „Feminale“ in Köln, die auch das Handbuch „Frauen. Film. Praxis“ verfaßt hat, stieß an vielen Stellen auf Erstaunen, als sie den Anteil der Frauen recherieren wollte. „Das erhebe man nicht mehr“, hieß es lapidar, und überhaupt hätten sich die Frauen doch längst durchgesetzt. „Weit gefehlt“, meint die Festivalmacherin. Die jungen Frauen fangen zwar sehr engagiert an, stoßen aber bald an Grenzen.

Seit fast zwanzig Jahren setzt sich der Verband der Filmarbeiterinnen für die Interessen seiner rund hundert Mitfrauen ein. „Nehmen wir das Beispiel Kamerafrau“, meint die Vorsitzende Silvana Abbrescia-Rath. „Vor zwanzig Jahren gab es keine einzige. Heute gibt es viele gute. Doch sie verschwinden von der Bildfläche, weil Männer ihnen offenbar vorgezogen werden.“ Und der „Schnitt“, jahrelang eine Frauendomäne, wird immer mehr von Männern erobert. Die sonst so gerne als „Frauenarbeitsplätze“ geschmähten Tätigkeiten werden im Zeichen der Wirtschaftskrise auch für Männer interessant.

Etwas Positives hat diese Krise jedoch. Noch vor einigen Jahren war die Verbandsarbeit fast eingeschlafen. Unter den jungen Frauen gab es die Illusion, sie würden es auch ohne Frauennetzwerk schaffen. Jetzt treten immer mehr ein, wohl auch deshalb, weil an die Stelle des von vielen kritisierten „70er-Jahre-Feminismus“ eine professionelle Lobbyarbeit getreten ist.

Der weibliche Nachwuchs an den Filmhochschulen ist inzwischen durchaus zahlreich. Wie bewerten die jungen Frauen ihre Berufsaussichten? „Wir sind alle unheimlich mit dem Überleben beschäftigt. Die Frauen, die mit uns diese Schule abschließen, haben keine Zeit, sich zu organisieren. Dabei wäre das wichtiger denn je.“ Claudia Zoller ist Absolventin der Hochschule für Film und Fernsehen Potsdam-Babelsberg (HFF) und arbeitet nebenher als Art Director bei der Trickfilmfirma Hahn-Film in Berlin. In einem Jahr ist sie mit der Ausbildung fertig. Sie kann immerhin schon einen Silbernen Bären in der Sparte Kurzfilm vorweisen. Zusammen mit Stefanie Jordan und Stefanie Saghri erhielt sie letztes Jahr diese Auszeichnung für ihren Trickfilm „Late at night“. „Die Filmindustrie ist nach wie vor eine Männerdomäne, und man muß Ellbogen entwickeln, um sich durchzuschlagen“, sagt eine, die gerade erst angefangen hat. Der Preis hat ihr und den beiden anderen zwar insofern geholfen, als sie sich bei der Filmförderung ihrer nächsten Projekte bessere Chancen erhoffen. Doch die Geldsorgen sind damit nicht verschwunden.

Ebenfalls ausgezeichnet wurde bei der letzten Berlinale die Arbeit von Lily Besilly und Nathalie Percillier. Für ihren witzigen Kurzspielfilm „Heldinnen der Liebe“, eine Persiflage aufs Soldaten- oder besser Soldatinnentum aus lesbischer Sicht, erhielten sie als Panorama-Beitrag den Teddy. „Im schwul-lesbischen Kontext hat uns diese Auszeichnung sehr geholfen. Der Film ist auf vielen Festivals gelaufen“, meint Nathalie Percillier. Doch wirtschaftlich habe sich das bisher noch nicht ausgezahlt.

Besilly studiert an der HFF und Percillier an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (DFFB). Den großen Druck verspüren die beiden noch nicht. Im „behüteten Umfeld der MentorInnen“ an der Hochschule, sei noch Zeit, die eigenen Talente zu entwickeln. Nathalie Percillier arbeitet am Drehbuch für einen Psychothriller, und Lily Besilly experimentiert mit kurzen, selbstfinanzierten Videos. Mit etwas Glück können sie ihren Teddygewinner ans Fernsehen verkaufen. Und überhaupt wollen sie sich mit ihrer neu gegründeten Produktionsfirma stärker am Fernsehen orientieren, da es dort mehr Chancen gibt für Nachwuchsfilmemacherinnen. Ob es für sie als Frauen schwerer ist, darüber hätten sie allerdings noch nicht nachgedacht, meinen sie. Lieber möchten sie über ihre Stärken reden, und das seien gute Ideen, die sie als Ware der Filmindustrie anzubieten hätten.

„Für Männer ist es einfacher, großes Kino zu machen. Frauen fehlt nicht etwa der Mut, sondern die Grenzen werden von außen gesetzt“, meint Stefanie Schulte- Strathaus vom Arsenal. Doch was hilft's? Das Credo von Ula Stöckl: „Wir wurden immer als Jammerlieschen in die Ecke gestellt. Es hat aber keinen Sinn, es negativ zu benennen. Wichtiger ist es, am Ball zu bleiben.“ Ute Kätzel

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