: Zehren wie ein Kamel aus seinem Höcker
Die Bagdader Akademie der schönen Künste ist auf ihre letzten Reserven angewiesen. Seit über sieben Jahren leiden Studenten und Dozenten unter dem UN-Embargo. Sie sind Meister der Improvisation geworden ■ Aus Bagdad Karim El-Gawhary
Die Akademie der schönen Künste trainiert den Ernstfall. Ein verloren aussehender Haufen aus Lehrern und Dozenten steht in Reih und Glied im Hof, während ein zackiger Offizier das Präsentieren und Schultern einer Kalaschnikow demonstriert. Unbeholfen versuchen die Musiker, Maler, Regisseure und Theaterwissenschaftler, es ihm gleichzutun. Jeden Nachmittag zwischen zwei und vier treten die 3.000 eingeschriebenen Studenten und die Lehrerschaft zu solchen Übungen an. „Für den Fall, daß es die Amerikaner auf Straßenkämpfe ankommen lassen“, sagt ein Begleiter des Informationsministeriums.
Es gebe noch genug Zeit zum Studium. Ein freier Tag in der Woche wurde kurzerhand gestrichen, erklärt der Dekan der Akademie und Theaterwissenschaftler, Fadil Chalil. Kalaschnikow und Kunst stehen für ihn nicht im Widerspruch. Denn schließlich sei Leo Tolstoi auch drei Jahre lang Soldat gewesen, bevor er sein Werk „Krieg und Frieden“ begann.
Doch dem kreativen Schaffen der Akademie sind durch sieben Jahre UN-Sanktionen Grenzen gesetzt. Im Büro des Dekans stehen Bronzeskulpturen, die wieder eingeschmolzen werden sollen, weil neues Rohmaterial fehlt. Farben, Öl und andere Chemikalien fallen unter das strikte UN-Importverbot. „Wir könnten damit ja chemische Waffen produzieren“, witzelt der Dekan. Eine Tonanlage für das Theater gibt es schon lange nicht mehr. Die Theatergarderobe läßt nur noch wenig Verkleidung zu.
Dr. Tarik Hassan Farid lehrt Musikwissenschaften. „Wir leben seit sieben Jahren wie ein Kamel, das aus den Reserven seines Höckers zehrt“, erklärt er. Und die gehen langsam aus. 40 Studenten teilen sich fünf Notenständer. „Ich weiß nicht, was in den letzten Jahren in der Musik in London, Paris und Salzburg passiert ist.“ Überhaupt träumt der 64jährige Bratschenspieler von Österreich. Damals, als er 1959 für einen Monat Wien besucht hat: das Beethoven-, Schubert- und Brahms-Haus... Den Stadtplan von Wien hat er aufbewahrt, denn: „Wien, das ist für mich wichtiger als Mekka.“
Ein Knochen hat begonnen, sich durch das Fleisch seines Fußes zu bohren. Das gebe ihm beim Gehen so eine Art elektrischen Schlag. „Der Arzt hat gesagt, eine Operation sei zu teuer. Das könne ich vergessen“, erklärt der alte Mann. „Ich bin Musiker, kein Politiker. Ich verstehe nicht, was die Amerikaner wollen“, sagt er. Und er hat Angst vor dem, was da kommen mag. Während der Operation Wüstensturm 1991 saß er 40 Tage mit seiner Frau im Haus. „Wir haben uns an den Händen gehalten, wann immer die Bomben auf Bagdad niedergingen.“ Als er nach dem Krieg wieder an seinen Arbeitsplatz ging, bot sich ihm ein Bild der Zerstörung. Zwei Raketen waren unmittelbar neben der Akademie eingeschlagen, alle Scheiben zu Bruch gegangen. „Wir haben Stoff an die Fenster gehängt, um uns vor der Winterkälte zu schützen“, erinnert er sich.
„Normalerweise fühlt sich ein Lehrer gut, wenn seine Studenten gut sind. Es ist traurig mit anzusehen, daß die enthusiastischen Studenten mit anderen Mitteln viel Besseres schaffen könnten. Da fühlt man sich als schlechter Lehrer“, beschreibt Dr. Abdel Dschalil Adham seine Situation. Er lehrt in der Fakultät für Kino und Fotografie. Die Dunkelkammer gleicht einer Rumpelkammer. Das größte Problem ist es, gegen harte Dollars an neue Filme heranzukommen. Aus einer Schublade zieht Dr. Adham eine alte russische Rolle Schwarzweißfilm. 12/1993 ist als Ablaufdatum in die Packung gestanzt. „Wir sind inzwischen Meister im Improvisieren. Wir experimentieren, wie man die abgelaufenen Filme so belichtet, daß das Bild am Ende doch noch irgendwie zufriedenstellend ist.“ Manchmal kommt auf gewundenem Weg auch eine große Projektor-Filmrolle in der Fakultät an. Dann schneiden die Studenten sie in Stücke und wickeln sie in die kleinen Filmkapseln. Dr. Adham träumt davon, „daß eines Tages auf dem Bagdader Flughafen eine Transportmaschine voller Filme landet.“
Dr. Adham hat früher gerne bei allen möglichen Anlässen und Kinderfesten zu Hause fotografiert. Doch mit seinem gesamten Monatsgehalt könnte er sich heute gerade einmal die Entwicklung eines Farbfilmes leisten.
Die Fakultät für formende Kunst war in den siebziger und achtziger Jahren die beste ihrer Art in der arabischen Welt. Saadi Abbas, einer der damals Graduierten, ist heute einer der bekanntesten arabischen Expressionisten. Seine Arbeiten wurden in Paris, New York und Peking ausgestellt. Seine Studenten haben kaum die Chance, es zu derartigem Ruhm zu bringen. „Die Qualität der Arbeiten hat sich eindeutig verschlechtert“, sagt Saadi Abbas. Die Studenten haben schlechtes Material zur Verfügung, sie haben kaum Praxis, da das wenige Material zu teuer ist, und sie haben keine Ahnung, was an Malerei im Rest der Welt passiert.
Abbas selbst bereitet sich derzeit zumindest theoretisch auf eine Ausstellung in den Vereinigten Arabischen Emiraten im Sommer vor. „Doch wenn ich die Nachrichten höre, bekomme ich Angst. Ich habe praktisch aufgehört zu arbeiten. Ich kann mich nicht mehr konzentrieren.“ Für Abbas ist das eine existentielle Frage, denn für ihn gilt: „Wenn du nicht mehr malst, dann lebst du nicht mehr.“
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