: Sensibles Weltprodukt
■ Seit der Exportmarkt zusammengebrochen ist, sitzen Entsorger auf fast unverkäuflichen Altpapierbergen
Sie halten gerade ein künftiges Weltprodukt in den Händen. Sobald Sie diese Zeitung ausgelesen vor die Tür legen, wird sie zu Altpapier. Und dieser Rohstoff wird weltweit gehandelt. Doch weil der Altpapiermarkt inzwischen zusammengebrochen ist, lagert die Ware lange auf den Höfen der Entsorgungsfirmen, anstatt verwertet zu werden. Nebeneffekt: Für die deutschen Papierfabriken ist der Rohstoff zur Zeit billig wie nie.
Allein in Bremen haben die BEB und die für Bremen-Nord zuständige Firma Nehlsen 42.000 Tonnen Altpapier aus den Haushalten in die drei Sortieranlagen gebracht. 76 Kilogramm pro Kopf. Die Sammelfreude sorgt für Überschüsse: Im Jahr 1997 gingen nach Zahlen des Verbandes der deutschen Papierfabriken 2,7 Millionen Tonnen Altpapier ins Ausland, etwa ein Viertel der gesammelten 11 Millionen Tonnen.
Ein Hauptabnehmer war lange Zeit Indonesien. Aus Deutschland wurden im ersten Halbjahr 1997 noch 125.000 Tonnen Altpapier dorthin verschifft. Allein Nehlsen schickte nach eigenen Angaben monatlich bis zu 4.000 Tonnen Altpapier in die 76 Papierfabriken des fernöstlichen Landes. 20 Mark zahlten noch im Sommer vergangenen Jahres indonesische Abnehmer pro Tonne ab Hof der Entsorger; selbst mit Transportkosten von 50 US-Dollar lohnte sich das Geschäft, weil die asiatischen Wälder entweder schon abgeholzt oder aber wegen der Holzsorten zur Zellstoffherstellung unbrauchbar geworden sind. Nach Ausbruch der Wirtschaftskrise in Asien läuft der Export kaum noch. Bremer Papier endet derzeit fast ausschließlich in Papierfabriken in Norddeutschland und Holland oder stapelt sich in den Lagern. „Für uns geht es nur darum, die Ware vom Hof zu bekommen“, sagt Björn Becker, Chef des mittelständischen Entsorgers Richard Becker.
Die Entsorgungsfirmen sind eher Dienstleister als Altstoffhändler. Auch für die BEB ist das Geschäft mit dem in Haushalten gesammelten Altpapier zur Zeit keines. „Wir sind froh, wenn wir plus minus Null rausbekommen“, sagt Sprecher Friedhelm Behrens. Was sich als Altpapier in einem normalen Sammel-Container wiederfindet, besteht etwa zu einem Viertel aus Verpackungen mit dem grünen Punkt. Für die Verwertung ist also das Duale System Deutschland zuständig. Der Rest sind Zeitungen, Zeitschriften, Kataloge oder Kartons, für die die Kommune, in Bremen die BEB, zuständig ist. Entsprechend dieser Anteile werden auch die Entsorgungskosten geteilt.
Beim Export gilt Altpapier ökologisch vom Stoff her als unproblematisch, bestätigt Jupp Trauth vom Forum Ökologie und Papier (FÖP) im nordrhein-westfälischen Roth. Allerdings habe noch niemand eine Energiebilanz aufgestellt für den Transport von Altpapier um die halbe Welt. Zudem weise der Altpapier-Überschuß darauf hin, daß die Deutschen zuviel verbrauchten, um eine echte Kreislaufwirtschaft hinzukriegen. Das Duale System läßt darum den Arm des deutschen Rechts bis nach Ostasien reichen. Auch Papierfabriken in Indonesien oder Taiwan müssen nachweisen, daß sie das Altpapier ordnungsgemäß verwertet haben.
Was die deutschen Entsorgungsfirmen wie Richard Becker künftig mit den Papierbergen anfangen sollen, wenn der Export weiterhin im Keller bleibt und der Papierverbrauch der Deutschen nicht sinkt, ist offen. Die Alternative zum Sammeln und Wiederverwerten: Altpapier verbrennen oder auf die Deponie werfen. Aber das wäre noch immer erheblich teurer, als es zu lagern und später kostenlos den Papierfabriken zu geben.
Joachim Fahrun
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