: Freispruch trotz Augenzeugin
■ Erneut wurden gestern ein Busfahrer und drei Polizisten vom Vorwurf der Körperverletzung gegen einen Iraner freigesprochen. Gericht bezweifelte, ob Zeugin überhaupt am Tatort war
Es ging ihm nicht um Rache, sondern um Gerechtigkeit. Aber die ist dem 38jährigen Iraner Habib J. nicht widerfahren. In einem Wiederholungsverfahren vor dem Landgericht sind gestern erneut drei Polizisten und ein Busfahrer vom Vorwurf der Körperverletzung gegen J. freigesprochen worden.
Für die Staatsanwaltschaft und den Vertreter der Nebenklage stand hingegen zweifelsfrei fest, daß der Iraner am 24. Dezember 1992 im Sinne der Anklage mißhandelt worden war. Die Strafkammer unter Vorsitz von Michael Löffler war jedoch der Auffsassung, daß die Vorfälle in und an dem BVG-Bus sowie später auf der Polizeiwache nach über fünf Jahren nicht mehr aufklärbar seien. „Die Ereignisse“, so Löffler, „sind im Dunkel der Zeit verschwunden.“ In erster Instanz waren die Polizisten noch wegen Körperverletzung im Amt zu hohen Geldstrafen verurteilt waren.
Der Fall war seinerzeit im Jahresbericht von amnesty international als Beispiel für Rassismus in der Polizei dokumentiert worden. Habib J. war Heiligabend 1992 in einem BVG-Bus eingeschlafen und eigenen Angaben zufolge an der Endstation von dem Fahrer mit Schlägen geweckt worden. Daß das Verfahren nicht im Vorfeld eingestellt wurde, ist der Existenz einer unbeteiligten Augenzeugin zu verdanken (siehe Bericht unten).
Die heute 51jährige Sekretärin Hannelore B. hatte von der Straße aus beobachtet, wie der Fahrer den Kopf des Iraners mehrmals so gegen die Scheibe schlug, daß der ganze Bus wackelte. Danach waren zwei Funkstreifen eingetroffen. Hannelore B. sah außerdem, wie zwei Beamte den Iraner „wie ein totes Stück Vieh“ abtransportierten und wie einen Sack Kartoffeln in den Polizeiwagen warfen. Später hatte die Sekretärin Habib J.s Studentenausweis auf der Straße gefunden und sich nach einem Telefonat mit diesem zu der Aussage entschlossen.
Auf dem Polizeiabschnitt 33 waren die Mißhandlungen laut dem Iraner weitergegangen. Einige Beamte hätten ihn mit „Allah, Allah“- und „Khomeini, Khomeini“- Rufen verächtlich gemacht, als er Anzeige erstatten wollte, sei er mit Ohrfeigen und Stößen auf die Straße befördert worden.
Der Prozeß gegen den Busfahrer und die Polizisten hatte 1994 vor dem Amtsgericht noch getrennt stattgefunden. Während ein Amtsrichter Hannelore B. und Habib J. für glaubwürdig hielt und die Polizisten schuldig sprach, wurde der Busfahrer von einer Amtsrichterin freigesprochen. In dem Berufungsverfahren vor dem Landgericht erzielten die Polizisten 1995 ebenfalls einen Freispruch, den jedoch der Anwalt Hajo Ehrig als Vertreter der Nebenklage erfolgreich anfechten konnte. Gestern begründete der Vorsitzende Richter Löffler den Freispruch mit Zweifeln an der „Glaubhaftigkeit“ von Habib J. Was die Aussage von Hannelore B. angeht, ging Löffler sogar so weit, in Frage zu stellen, ob die Zeugin überhaupt am Ort des Geschehens gewesen sei. „Es hat sie dort niemand gesehen.“ Der Nebenkläger und die Staatsanwältin hatten das Gericht in einer minutiösen Beweiswürdigung vergebens von der Schuld der Angeklagten zu überzeugen versucht. Ehrig kündigte neuerliche Revision an. Plutonia Plarre
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