piwik no script img

Giftgas in der Küche

Beim Einbrennen neugekaufter Herde werden gefährliche Mengen des Giftes von Bhopal freigesetzt  ■ Aus Stockholm Reinhard Wolff

Das Gift, an dem 1984 im indischen Bhopal Tausende von Menschen starben, lauert in so gut wie jedem neu gekauften Küchenherd. Die in der Isolierung dieser Herde verarbeitete Mineralwolle enthält ein Bindemittel, das bei hohen Temperaturen das Gift Metylisocyanat freisetzt – und zwar immer beim ersten Einbrennen eines neugekauften Herds, wenn dieses Bindemittel herausgebrannt wird.

Ein Zufall hat zu dieser Entdeckung geführt, über die ForscherInnen der arbeitsmedizinischen Klinik im südschwedischen Lund jetzt Alarm geschlagen haben. Ein mit Arbeitsschutzfragen beschäftigtes Gewerkschaftsmitglied hatte sich gewundert, was beim von den Herstellern von Herden empfohlenen ersten stundenlangen Einbrennen eines neuen Herds bei höchster Temperatur eigentlich so furchtbar stank, daß man nur fluchtartig die Küche verlassen konnte. Er erhitzte ein Stück Mineralwolle, roch den gleichen Gestank und fragte bei den ForscherInnen in Lund nach, ob dies denn nicht gesundheitsgefährlich sei. Zu ihrem Erstaunen stießen diese dann auf die bislang unbekannte Giftquelle.

Die Bindemittel der in den Herden verarbeiteten Mineralwolle – getestete Hersteller: Gullfiber und Rockwool – sind zusammengesetzt aus Phenol, Formaldehyd und Harnstoff, eine Kombination, die bei hoher Erwärmung Metylisocyanate freisetzt. „Das ist extrem gefährlich, auch in geringer Konzentration sollte dies eigentlich nirgends freigesetzt werden“, so der Chemiker Gunnar Skarping.

Die Mineralwolle ist im Hausbau, in Autos und in Haushaltsgeräten weitverbreitet. Normalerweise erscheint das Bindemittel ungefährlich, da die Isolierung keinen extem hohen Temperaturen ausgesetzt ist. Anders dagegen beim Aufwärmen neuer Herde. Skarping: „Da wird dieses Gift freigesetzt, und wir wissen nicht, wie lange es im Raum hängen bleibt und ob es reicht, nur gründlich zu lüften.“

Beim Herdbauer Elektrolux zeigt man sich erschrocken: Man werde sofort versuchen, Klarheit zu erreichen. Bis dahin werden ab sofort alle neuen Herde in der Fabrik in einem geschlossenen Milieu eingebrannt. Seine Händler hat Elektrolux angewiesen, auf Kundenwunsch bereits ausgelieferte Herde zum Einbrennen in die Fabrik zurückzuschicken.

Daß man sich bei den Mineralwolleproduzenten bislang noch keine Gedanken über die Giftigkeit des Bindesmittels gemacht hat, erkärt Umweltchefin Lena Jensén von Gullfiber damit, daß Mineralwolle „normalerweise nicht so hohen Temperaturen ausgesetzt wird“. Da die jetzigen Forschungsergebnisse „aber offenbar sehr seriös“ seien, werde man sich umgehend damit beschäftigen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen