: Eine kreative künstlerische Affäre
„Meine Bands im College waren so schlecht, wir mußten jede Woche unseren Namen wechseln“, sagt Lou Reed im Dokfilm seines Freundes Timothy Greenfield-Sanders „Lou Reed: Rock and Roll Heart“ ■ Von Thomas Winkler
Einer der ersten Sätze Lou Reeds im Film lautet: „I was made for Rock 'n' Roll“. Die Schlichtheit der Aussage ist ebenso typisch für ihn wie die darin enthaltene Anmaßung. Der Rock 'n' Roll wurde erschaffen für Lou Reed, und Lou Reed wurde erschaffen für den Rock 'n' Roll. Angetreten, dies mit seinem ersten Film zu belegen, ist Timothy Greenfield-Sanders, hauptberuflich Fotograf für Life, Vogue und die New York Times, und außerdem langjähriger Freund von Reed. Das ist zugleich Vorteil und Nachteil: Zum einen konnte Greenfield-Sanders mehrere Jahre lang Reed auch auf Reisen begleiten und dabei einmalige Aufnahmen sammeln. Zum anderen verbot ihm wohl die Schere im Kopf, zu kritisch mit dem Freund umzugehen.
Auf private Aufnahmen, auf die übliche Kindheitsgeschichte inklusive der immer wieder beliebten Erinnerungen von Sandkastenfreunden wird allerdings verzichtet. Das ist löblich, doch scheint es nun so, als wäre Reed in den letzten 30 Jahren einzig und allein damit beschäftigt gewesen, die Rockmusik zu revolutionieren, hätte aber auf ein Liebesleben völlig verzichtet. Dabei war doch die Ménage à trois zwischen ihm, Nico und John Cale eine der interessantesten und künstlerisch produktivsten Affären der Popgeschichte. Und wenn in einer der letzten Einstellungen Reed und Laurie Anderson für einen gemeinsamen Auftritt proben, wird kein Wort darüber verloren, daß die beiden schon länger ein Paar sind.
Der Film hält sich ausschließlich und ziemlich chronologisch an die musikalische Entwicklung von Reed. „Meine Bands im College waren so schlecht, wir mußten jede Woche unseren Namen wechseln. Niemand hätte uns zweimal engagiert“, darf Reed erzählen, und schon trifft er Cale, schon sind Velvet Underground gegründet und werden die aufregendste Rockband des Universums. Da ist der Satz „Lou Reed brachte den Rock 'n' Roll in die Avantgarde“ schon lange gefallen, und für den Rest des Films bleibt festgeschrieben, daß der Berufsrocker Reed allein verantwortlich war für die innovatorischen Klänge der Underground und nicht etwa der klassisch ausgebildete Musiker Cale.
So oder so – beeindruckend an den alten Aufnahmen sind immer wieder zwei Dinge: wie modern und aufwühlend diese Musik auch heute noch klingt. Und: wie unglaublich gut diese Band aussah. In einer sieben Monate langen Fleißarbeit hat Greenfield-Sanders nicht nur das bereits bekannte Material aus den frühen Tagen und der späteren Solo-Karriere zusammengetragen, sondern auch vieles aufgestöbert, was bisher nicht zu sehen war. So kommen wir auch in den Genuß eines Nackenspoilers, der allein die Aufnahme in die Hall of Fame verdient hätte.
Die Reise geht weiter durch die Jahrzehnte, und man hangelt sich entlang an den wichtigen Ereignissen, die in diesem Film immer nur wichtige Platten sind: „White Light/White Heat“, „Transformer“ , „Berlin“, „Walk On The Wild Side“, „New York“. In Interviews mit David Byrne, Suzanne Vega, David Bowie, Patti Smith, Thurston Moore und Lee Ranaldo von Sonic Youth wird schließlich klar, daß an dem klassischen Spruch von Brian Eno durchaus was dran war, die Velvet Underground hätten zwar nicht viele Platten verkauft, aber jeder, der eine kaufte, hat dann eine Band gegründet.
Aber kein Wort über Reed, den Diktator, über den Reed, mit dem Cale nach „Songs For Drella“ nie wieder zusammenarbeiten wollte, weil er auch dieses Projekt zu Ehren des gerade verstorbenen Andy Warhol wie alles andere auch an sich riß, der Reed, dem nicht nur Cale, sondern auch die traditionell zurückhaltende Trommlerin Moe Tucker nach der künstlerisch eher dürftigen Velvet-Reunion vorwarf, immer wieder doch nur die alte Chose abliefern zu wollen.
Die fast grenzenlose Bewunderung von Greenfield-Sanders für sein Objekt wird endgültig im Abspann offensichtlich, in dem noch einmal Porträts von allen im Film Interviewten als eine Art Zeugengalerie Reedscher Großartigkeit aneinandergereiht werden, abgeschlossen von einem Foto Reeds aus den 60ern. Als einziger, so soll es uns wohl erscheinen, ist ausgerechnet der biestige Lou jung geblieben. Was, möchte man hinzufügen, wahrscheinlich einfach daran liegt, daß er wie jeder gute Berufszyniker schon nach der Pubertät früh vergreist war.
Auf die Frage, wie lange man sich denn als Rock 'n' Roller so durchschlagen könne, sagt Reed: „Das Problem verschwindet, wenn man es nicht mehr Rock 'n' Roll nennt.“ Wenn es das ist, was er werden wollte, ein Musiker für die Ewigkeit, ein amerikanischer Klassiker, dann hat er es geschafft. Der Film ist bereits im amerikanischen Fernsehen gesendet worden. Die Reihe, für die der Film produziert wurde, heißt „American Masters“. Willkommen daheim, Lou! Thomas Winkler
Panorama: heute, 23.30 Uhr, Atelier
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen