Kanzler Schmidts Deal mit den Diktatoren

■ Siemens-KWU baut in Brasilien jetzt, 23 Jahre nach dem Startschuß, mit Hochdruck das teuerste AKW der Welt fertig. Die Reaktoren Angra I und II stehen mitten im Erdbebengebiet

Rio de Janeiro (taz) – Der schöne Schein trügt. Die Region Angra dos Reis südlich von Rio ist einerseits Ferienparadies – zauberhafte Palmenstrände und tropische Inselwelt wie im Bilderbuch. Andererseits wurden in den siebziger Jahren, als die sozialliberale Bundesregierung von Kanzler Schmidt gegen heftigen Widerstand Washingtons den Atomvertrag mit den brasilianischen Diktaturgenerälen unterzeichnete, auf der Gefängnisinsel Ilha Grande unzählige politische Gefangene barbarisch gefoltert und danach vor der Traumküste lebendig den Haien zum Fraß vorgeworfen.

Die Region ist das einzige erdbebengefährdete Gebiet Brasiliens, gelegentlich rumst es gewaltig. Die längst ausgerotteten Indianer nannten eine der engen Buchten wegen der rutschenden Stein- und Sandmassen Itaorna – fauliger Stein. Genau dort herrscht jetzt eitel Freude bei den Projektleitern von Siemens-KWU – bis zum Jahresende bauen über 5.000 Arbeiter und Ingenieure im Eiltempo rund um die Uhr in der Itaorna-Bucht den Atommeiler Angra II fertig.

Es wird ein AKW der Superlative. An keinem in der Welt wurde länger gebastelt – und kein anderes kam so teuer. Vor 23 Jahren fiel der Startschuß, das Kraftwerk des Biblis-Typs sollte 1,3 Milliarden Dollar kosten. Nun werden es sechs Milliarden, mehr als das Vierfache. Der deutsch-brasilianische Atomvertrag von 1975, der den Verkauf von acht AKW und Anreicherungstechnologie vorsah, wurde als größtes deutsches Exportgeschäft aller Zeiten gefeiert, rettete die KWU aus einer wirtschaftlichen Klemme.

Nur passierte, was Jimmy Carter und andere Kritiker veraussagten – das zivile Atomprogramm geriet aus Finanznot rasch ins Stocken, während das geheime militärische florierte. Die meisten der in Deutschland ausgebildeten Nuklearfachleute wechseln zum Geheimprogramm, in Amazonien entsteht ein Atomtestgelände.

In der Itaorna-Bucht von Angra dos Reis folgt derweil eine Pleite der anderen: Als die Baugrube für Angra II ausgehoben wird, sackt gleich nebenan das Maschinenhaus von Angra I ab, Gott sei Dank nicht in Betrieb. Dieses kleinere AKW stellte der nordamerikanische Westinghouse-Konzern mit zwölfjähriger Verspätung hin. Angra I heißt im Volksmund Vaga Lume – Glühwürmchen; seit das AKW 1985 erstmals ans Netz ging, mußte es wegen der häufigen Pannen immer wieder abgeschaltet werden. Westinghouse zahlte 50 Millionen Dollar Schadenersatz. An der Ausbesserung der Mängel aber verdient Siemens-KWU.

Die Indianer hatten recht – der rund ein Quadratkilometer große Baugrund der Itaorna-Bucht taugt nichts. Konsequenz: Für Angra II müssen über 1.000 Betonpfähle, jeder 40 bis 80 Meter lang, in den Kiesboden gerammt werden. Das dauert und kommt teuer. Den Bauplatz von Angra III direkt daneben hat ein Erdrutsch teilweise zerstört. Ob der dritte Meiler tatsächlich auch noch in die enge Bucht gesetzt wird, steht in den Sternen – die Teile dafür aber sind längst fertig, lagern wie jene für Angra II seit über 15 Jahren neben der Bucht eingeschweißt in Plastik und Aluminium sowie im Hamburger Freihafen. Jährliche Kosten: über 100 Millionen Dollar.

Brasilien ist das höchstverschuldete Land der Dritten Welt – nicht zuletzt wegen des deutsch-brasilianischen Atomabkommens, von dem besonders deutsche Banken profitierten.

Aus dem Westinghouse-Reaktor trat mehrfach Radioaktivität aus, was die Direktion vergeblich zu verheimlichen suchte. Richter setzten mehrfach den Betriebsstopp durch, weil im Falle einer Havarie die rasche Evakuierung umliegender Städte und Dörfer nicht möglich wäre. Denn nach den regelmäßigen heftigen Tropengewittern sind immer wieder Teile der engen Küstenstraße durch Erdrutsche unpassierbar. Siemens- KWU und die brasilianische Mitte- rechts-Regierung sehen indessen keine Sicherheitsprobleme mehr. Patricia Sholl