: Mit Lust Filme machen
■ „Central do Brasil“ gewinnt den „Goldenen Bären“. Gespräch mit Regisseur Walter Salles
taz: Herr Salles, Ihr Film wurde mit einer Telenovela, einer Fernsehseifenoper, verglichen. Was halten Sie davon?
Walter Salles: Das würde ich bestimmt nicht sagen. Die Novela ist die Banalisierung des Alltags, eine Möglichkeit, das Land auf persönliche Probleme und die Mittelschicht zu reduzieren. „Central do Brasil“ soll den Leuten Stimme geben, die normalerweise im Fernsehen keine Stimme haben. „Central do Brasil“ ist das genaue Gegenteil einer Telenovela.
Einer der grundlegenden Aspekte von „Central do Brasil“ ist neben ökonomischem Mangel eine emotionale Leere, die Unfähigkeit, Respekt und Zärtlichkeit zu geben. Glauben Sie, daß Brasilien so charakterisiert werden kann?
In der Tat ist das zentrale Thema des Films die Entdeckung der Gefühle, der Mitmenschlichkeit und Zärtlichkeit. Seit den siebziger und achtziger Jahren hat sich in Brasilien ein Zynismus breitgemacht, der daraus entstanden ist, daß von den Regierungen propagiert wurde, Brasilien müsse ein Land der „ersten Welt“ werden. Für diesen Zweck waren alle Mittel heilig. Diese Situation hat Brasilien auf allen Ebenen durchdrungen. Die Menschen haben jedes Gefühl dafür verloren, was ethisch ist und was nicht. Die andere Seite ist das Gefühl einer permanenten Leere. Genau darüber spricht der Film. Brasilien ist auf der Suche nach einer neuen Identität, und die Suche des Jungen nach seinem Vater spricht uns alle an.
Existiert heute so etwas wie der „brasilianische Film“?
Anders als zu Zeiten des „Cinema Novo“, wo eine kleine Gruppe zusammengearbeitet hat, sind die derzeitigen Filme äußerst unterschiedlich. Es gibt aber einen gemeinsamen Nenner: die Lust, Filme zu machen. Das kommt vielleicht daher, daß wir so lange keine Filme machen konnten. Das gegenwärtige brasilianische Kino wird mit Genuß gemacht, und ich glaube, das merkt man.
Wie steht es gegenwärtig um das brasilianische Kino?
Nachdem von 1990 bis 1994 unter der Regierung Collor das Filmemachen unmöglich wurde, wird seit Ende 1994 wieder produziert. Derzeit boomt der brasilianische Film, letztes Jahr wurden 30 Filme gedreht, dieses Jahr werden es vielleicht 40 sein. Das ist im Vergleich zu Ländern wie Frankreich mit etwa 120 Filmen pro Jahr noch sehr wenig. Aber es ist ein Anfang. Interview: Almut Naß
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen