: Skins passen in überhaupt kein Raster
■ Streitgespräch in der Volksbühne zwischen Publizist Klaus Farin und dem Kriminalisten Bernd Wagner: Ganz normale irre Jugendliche versus ideologisch stramme Rechtsradikale
„Keiner hört uns zu, keiner versteht uns. In der Presse steht nur Scheiße über uns.“ Der junge Mann am Saalmikrophon bemüht sich um authentisches Prollgehabe. Er hat ein Image zu verteidigen. Er ist Skinhead. Und die Kurzhaarfraktion, so glaubt er, seien die bösen Buben der Nation – gehaßt, verfemt, verfolgt.
„Skins – eine ganz normale Subkultur?“ Um diese Frage ein für allemal zu klären, lud die Wochenzeitung jungle World am Samstag zwei ausgewiesene Experten zum Streitgespräch in die Volksbühne. Klaus Farin, Publizist in Jugendangelegenheiten, bemühte sich redlich um Irritation des Publikums. Weder rechts noch links, weder so noch so, sondern eigentlich recht normale Jugendliche seien sie. Ungeheuer ausdifferenziert eben und auf kein Raster festzulegen.
Bernd Wagner, Kriminalist und Mitarbeiter des Zentrums demokratische Kultur, widersprach der Reduzierung der Skins auf ganz normales jugendliches Irresein. Die DDR-Skins hätten sich bereits in den achtziger Jahren stärker als im Westen mit neonazistischer Ideologie identifiziert. So bildeten sie die Basis der in den frühen 90ern entstehenden neonazistischen Organisationen. Auch in der Einschätzung der Bedeutung des Rechtsrocks kamen die beiden Experten zu unterschiedlichen Einschätzungen. Für Farin sind die rassistischen, völkischen und gewaltverherrlichenden Songs ein kulturelles Randphänomen. Ihre Popularität hätten sie vor allem durch die mediale Aufmerksamkeit der letzten Jahren erhalten. Für Wagner greift diese „Was verboten ist, macht uns erst heiß“-Erklärung zu kurz. Wichtig sei allein, welche Durchschlagskraft die Textbotschaften im jugendlichen Diskurs haben. Und die sei nicht zu unterschätzen.
Es hätte für die 150 Besucher eine spannende Veranstaltung zu Fragen werden können wie: Welche Definition von „Arbeiterklasse“ dominiert in der Szene. Wird der Begriff volksgemeinschaftlich oder internationalistisch begriffen? Haben die Sympathiebekundungen für die PDS – die Partei rangiert auf Platz eins – etwas mit der von ihr gepflegten Ostidentität zu tun oder mit der (ost-)volksgemeinschaftlichen Kapitalismuskritik. Zu einer Klärung kam es nicht. Die rund 25 anwesenden Skinheads nutzten die Gelegenheit, um klarzustellen: Egal wie ihr uns seht, ihr liegt falsch. Und so blieb dem Publikum nach über zwei Stunden nur die Gewißheit, endlich mal ein paar leibhaftige Skins erlebt zu haben.
Skinheads, die sich weigerten, zum Beispiel auf die Frage eines Zuhörers zu antworten, der meinte, ihn störe auch, wenn Skinheads mit Rechtsextremismus gleichgesetzt würden. Allerdings sei es ein Problem, daß die meisten der 150 Todesopfer rassistischer Gewalt der letzten Jahre von kurzhaarigen Männern getötet wurden. Die Skinheads teilten sein Problem nicht. Eberhard Seidel-Pielen
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