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„Independent“ in der Daumenschraube

Das linksliberale britische Qualitätsblatt ist wohl kaum mehr zu retten. Es würde das erste Opfer des Preiskrieges, den Medienzar Rupert Murdoch angezettelt hat – Premier Blair verhindert Gegenmaßnahmen  ■ Aus London Ralf Sotschek

Man hatte so große Ambitionen, als 1986 einige Tageszeitungs- Journalisten darangingen, ein neues Blatt zu gründen: Der Independent sollte sich als (erste) unabhängige Zeitung links von der Mitte auf dem britischen Markt etablieren.

Unabhängig ist man schon lange nicht mehr

Zunächst gelang das sogar. Doch nun ist der Independent kaum noch zu retten – und „independent“ ist er schon lange nicht mehr. 46 Prozent der Anteile gehören inzwischen der Mirror-Gruppe, weitere 46 Prozent hält der irische Großverleger und Multimillionär Tony O'Reilly. David Montgomery, der Geschäftsführer der Mirror- Gruppe, ist der uneingeschränkte Herrscher beim Independent. Seit er das Sagen hat, geben sich die Chefredakteure bei seinen Blättern die Klinke in die Hand. Ende Januar feuerte er beim Independent den Chefredakteur Andrew Marr, der mit einer umfangreichen Blattreform vergeblich versucht hatte, die kränkelnde Auflage zu erhöhen. Als man ihm auch noch Einsparungen in Höhe von zwölf Millionen Mark aufdrücken wollte, spielte er nicht mehr mit.

Zur Nachfolgerin wurde Rosie Boycott ernannt, die bisher den Independent on Sunday geleitet hat und nun beide Blätter in die schwarzen Zahlen führen soll. Die 46jährige ist die erste Chefredakteurin einer überregionalen Tageszeitung in Großbritannien. In den siebziger Jahren war sie Mitbegründerin der feministischen Zeitschrift Spare Rib. Sie hat in Thailand mal im Gefängnis gesessen, weil sie mit John Steinbeck jr. beim Marihuana- Rauchen erwischt worden war. Später war sie lange Zeit dem Alkohol verfallen. Nachdem sie ihren Job beim Independent on Sunday antrat, zettelte sie eine beharrliche Kampagne für die Legalisierung von Cannabis an.

Während der brillante Kolumnist Andrew Marr für kluge politische Analysen und Essays stand, gilt Boycott eher als Verfechterin der leichten Kost. In diese Richtung soll die Reise des Independent nun gehen, hatte Montgomery beschlossen. Er will das Blatt in eine vermeintliche Nische zwischen der ehemals ehrwürdigen Times und dem Boulevardblatt Daily Mail zwingen. Gleichzeitig soll der Mirror, die Labour-freundliche Boulevardzeitung, etwas seriöser werden und als populistische Schwester neben dem Independent stehen. Doch Andrew Neill, früherer Chefredakteur der Sunday Times und Kenner des britischen Zeitungsmarktes, sieht dort keine Marktlücke: „Wenn es überhaupt eine gibt, dann am oberen Ende der Qualitätsskala bei Tageszeitungen.“

Vom Independent werden täglich rund 230.000 Exemplare verkauft. 1990 waren es noch 414.000. Wie will Rosie Boycott der Zeitung wieder auf die Beine helfen? Zuerst hat sie die Blattreform ihres Vorgängers rückgängig gemacht. Dann sollen fünf neue Schreiber für bunte Geschichten her. Doch das Budget für ihre beiden Zeitungen ist gerade mal halb so groß wie das der Konkurrenz. Einige profilierte Journalisten haben dem Independent bereits den Rücken gekehrt, andere denken an Abwanderung. Die Stimmung ist schlecht. Die neue Richtung passe den wenigsten, sagt ein Independent-Reporter, der Verlust von Marr habe demoralisierende Wirkung.

Marr hatte sich offen zu Labour bekannt. Boycott verspricht der Partei weiterhin „kritische Unterstützung“. Aber in den Augen von Premierminister Tony Blair ist die Sun, mit weit über einer Millionen Exemplare das meistverkaufte Boulevardblatt des Landes, ohnehin wichtiger. Blair ist davon überzeugt, daß sich das Schicksal zu seinen Gunsten wendete, als der kleinformatige Schmutzkübel zur Labour Party umschwenkte. Der Ruf des Blattes, Wahlen zu entscheiden, stammt aus der Zeit, als dem damaligen Labour-Chef Neil Kinnock der sicher geglaubte Wahlsieg durch die Lappen ging. „It's the Sun wot won it“, titelte das Blatt danach in heilloser Selbstüberschätzung.

Doch in den Parteien teilt man diese Ansicht. Schon die Tories kniffen den Schwanz ein, als der australische Medienzar und Sun- Herausgeber Rupert Murdoch gegen die Kartellgesetze verstieß. Bei Blair hat er ebenso leichtes Spiel. Die beiden speisen regelmäßig zusammen, und Blairs Spin Doctor Peter Mandelson ist eng mit Murdochs Tochter Elizabeth befreundet. Nun hat zwar das Oberhaus zu Blairs großem Ärger dafür gestimmt, daß Zeitungen vor dem Kartellgesetz genauso wie zum Beispiel Rasenmäher zu behandeln seien, doch der Premierminister will eine Klausel einbauen, mit der Murdoch leben kann: Das Gesetz tritt nämlich nur dann in Kraft, wenn ein Marktführer den einzigen Konkurrenten durch Dumpingpreise in den Ruin treiben will. Doch Murdoch hat – noch – mehr als einen Konkurrenten, und so betrifft ihn die Sache nicht.

Die „Times“ kostet nur noch 60 Pfennige

Murdoch bedient mehr als 40 Prozent der britischen Leserschaft mit der Times und der Sun. Das reicht ihm aber nicht. Seit Jahren führt er einen erbitterten Preiskrieg gegen den konservativen Daily Telegraph und den Independent. Der linksliberale Guardian dagegen schien kein guter Gegner, denn seine Leserschaft hat sich gegen die Angriffe als resistent erwiesen.

Montags kostet die Times umgerechnet nur noch 60 Pfennige. Neuerdings auch samstags. Ein Preis, der nicht einmal die Vertriebskosten deckt. Je mehr Murdoch verkauft, desto mehr Verlust fährt er ein. Im vorigen Jahr sollen es um die 200 Millionen Mark gewesen sein. Leisten kann er es sich aufgrund seines weltweiten TV- Imperiums mit links. Für die Times war die Aktion sehr erfolgreich: Sie katapultierte ihre Auflage von 350.000 bis an die Millionengrenze.

Murdoch klopfte Regierungen weich

Wenn man einen Preiskrieg anfängt, so gilt das ungeschriebene Gesetz, daß man ihn solange weiterführen muß, bis ein Konkurrent auf der Strecke bleibt. Der Daily Telegraph, der zwischenzeitlich auch den Preis gesenkt hatte, scheint robust. Doch der Independent hat eine jüngere Leserschicht, die das Blatt weniger im Abonnement, sondern vor allem am Kiosk kauft. An jenen Tagen, an denen die Times verschleudert wird, geht der Independent-Absatz in den Keller. Und deshalb ist er ohne Hilfe durch ein Antidumping-Gesetz akut gefährdet.

Murdoch hat mit seinen Zeitungen schon immer Regierungen weichgeklopft, wenn Gesetze seinem Expansionsdrang im Wege standen. Inhalte sind ihm dabei nebensächlich. Als China sich zum Beispiel über kritische Berichte in der BBC beschwerte, schmiß Murdoch den seriösen Staatsfunk kurzerhand von seinem Satelliten, weil er seine Geschäftsinteressen im Reich der Mitte gefährdet sah.

Dabei hätte Blair eine selten günstige Ausgangsposition, um Murdoch an den Karren zu fahren. Zum einen hat Labour eine bequeme Unterhaus-Mehrheit, zum anderen hätte die Regierung sämtliche anderen Zeitungen auf ihrer Seite. Doch wie bereits bei der Parteispendenaffäre, als Labour Millionen vom Autorenboß Bernie Ecclestone kassierte und die Formel Eins dafür vom Tabakwerbeverbot ausnahm, glaubt Blair offenbar, daß seine Tugendhaftigkeit – als Garant für Unfehlbarkeit – auf andere abfärbt und am Ende alle gemeinsam am Strang des nationalen Wohls ziehen. Der Independent wird als erster für diese grenzenlose Naivität bezahlen.

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