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Als sei's ein Golfschläger

■ Zwischen Dokumentation, Inszenierung und Klischee: Zur Ausstellung "Frauen im Kreuzfeuer" der englischen Fotografin Jenny Matthew in Potsdam

Da liegen sie nebeneinander auf dem Boden, steif und entblößt. Sie mit stranguliertem Hals, das eine Auge aufgerissen, das andere als schwarze Höhle prangend. Auch sein Blick ist totenstarr, ein Arm fehlt. An Stelle der zwei Beine ragen Schrauben aus seinem Körperinneren.

Die beiden Schaufensterpuppen haben vor dem Krieg in Ruanda bessere Zeiten gesehen. Läßt schon das Schwarzweißfoto mit den verstümmelten Puppen den Betrachter angesichts der „unmenschlichen“ Tat erschauern, ist das wahre Ausmaß von Gewalt und Perversion erst durch die Zusatzinformation zu erahnen: Die britische Fotografin Jenny Matthews entdeckte die einst dekorativen Körper neben „zerstückelten“ Menschen in einem Krankenhaus in Kabagayi.

Seit 1981 ist Matthews weltweit mit der Kamera unterwegs, um Menschen in Kriegs- und Konfliktsituationen mit der ihnen eigenen Dynamik einzufangen. Während sich zur Wahlkampfzeit in Großbritannien die Politiker, Robotern ähnlich, fehlerlos-langweilig im Lichte der Öffentlichkeit bewegten, sei in anderen Ländern wie Liberia der Teufel los.

Die Ausstellung „Frauen im Kreuzfeuer“ in Potsdam, organisiert von dem deutschen Zweig der internationalen Hilfsorganisation Oxfam, zeigt einen Ausschnitt aus Matthews Lieblings- oder „Lebenswerk“. Seit fünfzehn Jahren arbeitet die Fotografin, Mitbegründerin einer Frauen-Fotoagentur in London mit zahlreichen Ausstellungen in Großbritannien, an einem Fotoband über die Reaktion von Frauen auf Gewalt. Seine Fertigstellung hat infolge immer neuer Kriege indes auf sich warten lassen. 1991 kam der Golfkrieg dazwischen, und Matthews reiste in den Gaza-Streifen: „I'm somehow adicted to conflict-situations.“

Auf einer der 50 mal 60 Zentimeter großen Fotografien verfrachtet eine Unzahl von Militärs zwei guatemaltekische Marktfrauen gewaltsam auf den Lkw. Sie hatten sich mit demonstrierenden Studenten solidarisiert: Frauen als wehrlose Opfer einer Mitte der achtziger Jahre militarisierten Gesellschaft – kein Einzelfall in Mittelamerika. In einer ganz anderen Opferrolle erscheint die junge, an einer Zigarette saugenden Frau aus Honduras. Diese posiert etwas gekünstelt unterhalb einer Schusterwerbung (soll männliche versus weibliche Rollenverteilung zeigen) und geht, auf US-Soldaten wartend, ihrem eigenen Gewerbe nach.

Doch Frauen können, und das ist der zweite Aspekt der Ausstellung, dem Opferdasein gegensteuern. Undurchdringlich blickt eine junge Sandinistin in die Kamera, das Gewehr hält sie geschultert, als sei's ein Golfschläger. Dieses allzu demonstrative Bild mit Waffe und Ehering wirft allerdings die Frage auf, ob die Nicaraguanerin als eigenständige Kämpferin zu feiern oder als Opfer gesellschaftlicher Unterdrückung wahrzunehmen ist. Sie selbst überlegt vielleicht, ob sie für das Porträt genug Geld eingesackt hat. Bedauerlich, daß manche von Matthews Frauen so konturlos und stereotyp erscheinen. Beeindruckender hingegen wirkt die achtzigjährige Flüchtlingsfrau aus El Salvador, so faltig und konzentriert beugt sie sich über den ungewohnten Schreibgegenstand in ihrer Hand.

Die Bilder der knapp fünfzigjährigen Fotografin sind deutlich politisch, teilweise auch sehr eindrucks- und gefühlvoll. Sie lenken den Blick nicht nur auf aktuelle oder kaum vergangene Kriegssituationen wie den Flüchtlingsstrom von Ruanda nach Zaire im Jahr 1994, an dem zu über achtzig Prozent Frauen und Kinder beteiligt waren. Die Aufnahmen verweisen darüber hinaus auf die Folgen von Traumata, die wir längst abgehakt haben, wie das Porträt eines kleinen Mädchens aus dem Jahr 1991. Obwohl lange nach dem Vietnamkrieg geboren, kam sie ohne Augen auf die Welt. Schuld daran ist der damalige Einsatz des Entlaubungsmittels Agent Orange durch die US-Armee.

Dennoch beschleicht einen das Gefühl, daß hier pädagogische Bildungsarbeit geleistet werden soll. Neben einem Frauengesicht, das durch einen Machetenschlag entstellt wurde, bilden Frauen Gesundheitshelfer aus oder bauen die vom Krieg zerstörten Häuser wieder auf. Es sind plakative, lehrmeisterhafte Bilder über die Arbeit von Hilfsorganisationen.

Kein Wunder: Nach einer kurzen Filmausbildung in Brasilien entdeckte (und erlernte) Matthews im politisch unruhigen Nicaragua Anfang der achtziger Jahre das reisende Fotografieren als „individualistischere“ Freiberuflichkeit. Doch wird die vermeintliche Autonomie zum einen durch Auftragsarbeiten von Entwicklungshilfeorganisationen wie Care International und Oxfam geprägt, die gegenüber den Projektländern und Geldgebern eine bestimmte Diplomatie verfolgen. Zum anderen hat sich Matthews auf Pressefotografie spezialisiert, die im Guardian und Observer erscheint, kürzlich auch in der Zeitschrift Newsweek zu sehen war.

Spannender ist ein Blick in Matthews Fotoband. Er trägt in weit größerem Maße ihre Handschrift; nur dort stellt sie die herrische Siegerpose von Männern im Gaza-Streifen weiblicher Gestik gegenüber. Nicht umsonst führt das Buch mit einem Beispiel zur Manipulation von Fotografien ein: Auf dem ersten Bild symbolisiert eine junge, niedergeschlagene Farbige mit Kind im Arm das ausgelaugte Afrika. Als sie Matthews entdeckt, strahlt sie fast automatisch für das Bild Nummer zwei. Es geht aufwärts, Hilfsorganisation XY hat genug Getreide geliefert. Isabel Fannrich

Potsdam, Heinrich-Mann-Allee 107, Haus 17. Bis 2.4. 98, Mo.–Fr. 9–15, Di. 9–17 Uhr

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