Kettensägenmassaker im Spreebogen

■ Dem zukünftigen Kanzlergarten fallen 140 Bäume zum Opfer. Horst Porath, Baustadtrat in Tiergarten, ist empört: „Absurd, das gewachsene Biotop für künstlichen Weg abzuholzen“

Im Robinienwäldchen haben Ruhe und Beschaulichkeit seit gestern ein Ende. Es dröhnen die Kettensägen, die Bauarbeiter schwingen die Äxte. Ihre Aufgabe: „Wir sollen die Bäume wegmachen.“ Am ersten Tag haben sie schon ganze Arbeit geleistet. Zirka 20 Robinien liegen schon in der Waagerechten, 120 weitere sollen noch folgen, was zirka 20 Prozent des gesamten Baumbestandes ausmacht. Das Wäldchen steht der Hauptstadtplanung im Wege.

In unmittelbarer Nähe zum Bundeskanzleramt und dem sogenannten Kanzlergarten – auf dem Gelände des Moabiter Werder – entstehen 750 Wohnungen für Bundestagsbedienstete. Damit sie nicht durch trostlose graue Straßen zu ihren Arbeitsplätzen schlendern oder sich durch dichtes Gestüpp wühlen müssen, sondern im Grünen an der Spree entlangspazieren können, soll ein „öffentlicher Uferweg“ entstehen, wie die Leiterin der Bundesbaubehörde, Claudia Lemhöfer, bestätigte.

Ihr Amt ist zuständig für die Abholzung. Sie beantragte bei der Umweltverwaltung eine Fällgenehmigung, die diese „mit großem Bedauern“ erteilen mußte. Der Senat sei nur die Genehmigungsbehörde und sei nach dem Hauptstadtvertrag gezwungen zuzustimmen. Überhaupt nicht einbezogen wurde der Baustadtrat des Bezirks Tiergarten, Horst Porath SPD): „Ich habe erst heute morgen durch den Anruf einer Bewohnerin von den Arbeiten erfahren. Ich finde es absurd, ein 50 Jahre gewachsenes Biotop zu vernichten, um einen künstlich geschaffenen Wanderweg anzulegen.“

Auch die Begründung, man müsse Platz für die Durchführung von Munitionssucharbeiten schaffen, weist Porath zurück: „Wir suchen im Tiergarten auch nach Munition – aber ohne den gesamten Wald abzuholzen.“

Den Bundestagsmitarbeitern soll auch der freie Blick von ihren Wohnungen auf das geordnete Grün des Kanzlergartens nicht geraubt werden. Er befindet sich auf der anderen Seite der Spree. Die Abholzung bietet auch die Möglichkeit für eine Einfriedung des Kanzlergartens. Was in knackigem Beamtendeutsch „Einfriedung“ genannt wird, meint schlicht und einfach Umzäunung.

Der Betreiber des Restaurants im Haus der Kulturen der Welt, Wolfram Ritschl, ist außer sich. „Leider erfährt man erst davon, wenn so etwas schon im Gange ist. Dann kann man nichts mehr dagegen tun.“ Auch die Tatsache, daß die Bundesbaugesellschaft als Ausgleich für die Abholzung auf dem Areal des Kanzlergartens Mischwald anpflanzen will, kann ihn nicht trösten. Bis vor kurzem verdeckte das Robinienwäldchen noch den nicht sehr pittoresken Anblick der Baustelle gegenüber. Mit ihm muß sich Ritschl die nächsten Jahre anfreunden – und mit ihm seine Gäste. Peter Kasza