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Weniger Parkplätze und eine gesündere Belegschaft

■ Hollands Verkehrspolitik ist vorbildlich. Firmen stellen ihren Mitarbeitern Dienstfahrräder zur Verfügung, wer mit dem eigenen Velo zur Arbeit fährt, zahlt weniger Steuern

Holland ist das Land mit der größten Fahrraddichte der Welt. Auf jeden Einwohner kommt ein Rad, in Deutschland sieht's mit 1,4 zu 1 nicht so günstig aus. Während in den Niederlanden die Nachfrage konstant groß ist, scheint der deutsche Fahrradmarkt mit einem Bestand von 63 Millionen Fahrrädern (1996) gesättigt zu sein. 1997 sank der Absatz in der Bundesrepublik auf rund 4,5 Millionen Stück, in den zwei Jahren zuvor lagen die Zahlen noch deutlich über fünf Millionen. Daß die Umsatzkurven wieder in den Sechs-Millionen- Himmel wachsen könnten wie kurz nach der Vereinigung, daran glaubt so recht niemand mehr. Selbst ein zweiter Tour-Triumph durch Jan Ullrich könnte dieses Wunder nicht bewirken.

Die niederländischen Hersteller sind von Absatzeinbrüchen verschont geblieben. Seit 1987 sind die Verkaufszahlen gestiegen, insgesamt um etwa 60 Prozent. Bekannte holländische Marken sind sogar Exportschlager: Gazelle etwa setzt ein Fünftel seiner Räder in Deutschland ab. Das ist schon eine Besonderheit auf dem europäischen Fahrradmarkt, wo es sonst kaum einem Hersteller gelingt, außerhalb seines angestammten Kundenkreises im eigenen Land Geschäfte zu machen.

Liegt es am Produkt selbst, an der soliden und benutzerfreundlichen Low-Tech der holländischen Räder? Oder ist die ungebrochene Nachfrage im Nachbarland hauptsächlich damit zu erklären, daß das Land flach ist wie ein Frühstücksbrett? Technik, Tradition, Topographie – für Ursula Lehner-Lierz, Beraterin für Radverkehrssysteme, sind das alles nachgeordnete Gründe. Nein, es gebe da „eine Vielzahl von kleinen und großen Maßnahmen, die das Radfahren in Holland attraktiv machen und aus dem Radverkehr ein abgerundetes System“. Bikemäßig könnten wir von den Niederlanden nur lernen. „Immer wenn ich von dort nach Deutschland zurückkomme, habe ich das Gefühl, in ein Entwicklungsland zu kommen“, sagt die gelernte Geographin.

Fortschrittlich zum Beispiel ist das holländische Steuerrecht, das vor gut zwei Jahren zugunsten des Rades geändert wurde. Arbeitgeber in der freien Wirtschaft können seitdem Fahrräder und Zubehör als Firmengabe verschenken. Den Mitarbeitern kann ein Fahrrad als ständiges Dienstfahrzeug zur Verfügung gestellt werden, auch Leasen ist üblich. Bleibt das Fahrrad, das selbstverständlich auch privat genutzt werden kann, Eigentum der Firma, braucht der Mitarbeiter bei einem Wert bis zu 1.500 Gulden nichts zu versteuern. Wird es als Naturallohn definiert, hat er dem Fiskus eine Zuwendung von lediglich 150 Gulden zu melden.

Die Hersteller sind begeistert: 15 Prozent ihrer Verkäufe sollen 1996 Firmenräder gewesen sein; sie wurden in irgendeiner Form von Unternehmen erworben oder vermittelt. In der Verkaufsabteilung bei Batavus, dem zweitgrößten Velo-Produzenten im Lande, sitzen neuerdings drei Leute, die nichts anderes machen, als große und mittelgroße Betriebe anzusprechen. In der nordniederländischen Stadt Groningen können sich Unternehmer darüber hinaus von Marieke Harking beraten lassen, Mitarbeiterin des Verkehrskoordinationszentrums VCC. „Bei Entfernungen bis zu zehn Kilometern ist das Rad einfach das ideale Verkehrsmittel. Nicht nur braucht der Arbeitgeber weniger Pkw- Parkplätze, seine Belegschaft ist in der Regel auch gesünder.“ Muß der Arbeitnehmer das über die Firma bezogene Rad unbedingt benutzen, bei jedem Wetter? „Die Hälfte aller Arbeitstage sollte er schon mit dem Rad kommen. Aber ob das jemand kontrolliert...“

Auch der Fachhandel freut sich, seine Marge bleibt unangetastet. Die Firmen beziehen die Räder nämlich nicht direkt vom Hersteller, sondern überlassen ihren Mitarbeitern den Kauf ihres „Dienstrades“ im Laden ihrer Wahl. Begehrt ist „De nationale Fietsbon“, Gutscheine im Wert von 10, 25 und 50 Gulden. Sie können gegen Ersatzteile eingetauscht, aber auch gesammelt werden, um die Finanzierung eines neuen Modells günstiger zu gestalten.

Die stärkere Fahrradnutzung auf dem Weg zur Arbeit ist ebenfalls im 1990 gestarteten Masterplan Fiets anvisiert, ein nationales Programm mit ehrgeizigen Zielen, initiiert vom Verkehrsministerium. So soll das Radverkehrsnetz, das in Holland ohnehin Vorbildcharakter hat, noch verbessert, die Infrastruktur ausgebaut werden. Durch eine Vielzahl von Projekten und Maßnahmen sollen die niederländischen Bürger dazu gebracht werden, im Jahre 2010 insgesamt 30 Prozent mehr Kilometer mit dem Fahrrad zurückzulegen als 1986. Die Zahl der Berufstätigen, die sich morgens fürs Rad entscheiden, soll sich bis dahin um die Hälfte erhöht haben. Man verspricht ihnen, für mehr Sicherheit im Straßenverkehr zu sorgen und Fahrraddiebstähle einzudämmen.

Wie man so etwas angeht, läßt sich schon heute in Groningen beobachten. Mit einem Fahrradanteil von 39,5 Prozent aller zurückgelegten Wege ist die Universitätsstadt mit ihren 170.000 Einwohnern einsame Spitze in Europa. An der Fahrradstation am Bahnhof erhält jeder ein Leihfahrrad ohne Schaltung mit Rücktrittbremse und simplem Speichenschloß – für Groningen wie geschaffen. Denn wenigstens die City präsentiert sich angenehm autoarm. Sie ist in vier Sektoren aufgeteilt. Wer motorisiert von einem in einen anderen gelangen will, muß den Umweg über die Ringstraße in Kauf nehmen, Pedalisten gleiten mitten durch das Zentrum. Wollen sie ihr Rad diebstahl- und witterungsgeschützt abstellen, stehen ihnen außer der Station am Bahnhof noch 17 weitere zur Verfügung. Etwa unter einem Kino oder der Bibliothek. Repariert wird überall. Unterhalten werden die Stellplätze von „Stichting Werkprojekten“, einer kommunalen Sozialeinrichtung. Ihr Geschäftsführer, Gerard Bootsman, nennt stolz zwei Zahlen: „Eine Million Kunden im Jahr, und die Jahresgebühr kostet 25 Gulden (etwa 22 Mark), mehr nicht. Jeder, auch Leute mit niedrigem Einkommen, soll unsere Einrichtungen nutzen können.“ Helmut Dachale

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