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Polizei gegen friedlichen Protest im Kosovo

Serbische Sicherheitskräfte prügeln auf Albaner ein, die gegen die „Terrorherrschaft“ demonstrieren. Die albanische Untergrundarmee heizt die Lage weiter an. EU und USA wollen Belgrad unter Druck setzen  ■ Von Erich Rathfelder

Sarajevo (taz) – Mit brutaler Gewalt gingen serbische Sicherheitskräfte gestern vormittag gegen Tausende kosovo-albanische Demonstranten vor, die in Priština, der Hauptstadt der zu Serbien gehörenden Provinz Kosovo, gegen die „serbische Terrorherrschaft“ protestieren wollten. Mit Gummiknüppeln, Wasserwerfern und Tränengas wurden die Demonstranten aus dem Stadtzentrum vertrieben und in die Nebenstraßen verfolgt. Mehrere Menschen wurden verletzt. Die Behörden verhängten ein Demonstrationsverbot. Zu dem friedlichen Schweigemarsch hatten Parteien, Gewerkschaften und Studentenorganisationen aufgerufen.

Anlaß für die Protestaktion waren die Ereignisse vom Wochenende in der Region Dravica, die etwa 50 Kilometer östlich von Priština liegt. Nach offiziellen serbischen Angaben sollen bei Schießereien zwischen der kosovo-albanischen Untergrundarmee UCK und den serbischen Sicherheitskräften 20 Menschen ums Leben gekommen sein, darunter 16 Kosovo-Albaner und 4 Serben. Albanische Quellen sprechen von über 30 Toten und vielen Verletzten, darunter Frauen und Kinder. Die serbischen Einheiten hätten einige Dörfer in der Region Dravica mit 20 gepanzerten Fahrzeugen eingekreist und wahllos beschossen.

Die Region gilt als Hochburg der kosovo-albanischen Untergrundarmee UCK, die in den letzten Monaten serbische Polizeiposten aus der Region vertrieben hatte. In der Nacht zum Montag stellte die Untergrundarmee ihre Aktionsfähigkeit auch in anderen Gebieten unter Beweis. In Podujevo, einem Dorf nördlich Prištinas, wurde nach serbischen Angaben ein serbischer Polizeiposten mit automatischen Waffen angegriffen. In Klina und Djakovica wurden Granaten auf mehrere serbische Häuser geworfen.

Die Strategie der albanischen Untergrundarmee ist offenbar darauf angelegt, die serbischen Sicherheitsstreitkräfte zu größeren Gegenaktionen zu provozieren, um dann ihrerseits wiederum Gegenmaßnahmen einzuleiten. Die Spirale der Gewalt, die dadurch provoziert wird, trifft wie üblich die schutzlose Zivilbevölkerung. Seit Wochen warnt die kosovo-albanische Führung unter Ibrahim Rugova vor einer solchen Strategie der Konfrontation. Sie vermutet, daß es sich bei der UCK um eine serbische Provokation handelt. Bisher hat die UCK auf diese Kritik nicht öffentlich geantwortet.

Angesichts der dramatischen Lage versuchen die Europäische Union, die Kontaktgruppe und die USA diplomatischen Druck auf die serbische Regierung in Belgrad auszuüben. Als politische Lösung des Konflikts schlagen diese Mächte die Gewährung eines Autonomiestatuts mit weitgehender Selbstverwaltung vor. Am 25. Februar forderte die Kontaktgruppe – USA, Rußland, Frankreich, Großbritannien und Deutschland – bei einem Treffen in Moskau die Serben zu Verhandlungen über ein Autonomiestatut auf.

„Die Entwicklung im Kosovo bedroht die gesamte Region“, hieß es gestern in einer Presseerklärung von Bundesaußenminister Klaus Kinkel. „Wir verurteilen Terrorismus und Gewalt, egal von welcher Seite sie ausgehen.“ Um die Lage zu deeskalieren, fordert Kinkel die Umsetzung des 1996 zwischen dem jetzigen jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milošević und Rugova ausgehandelten Abkommens, das die Anerkennung der Schulabschlüsse der albanischen Untergrundschulen mit beinhaltet. Die Forderungen der Kosovo-Albaner aber gehen weiter. Rugova fordert die internationale Gemeinschaft auf, direkt in Kosovo zu intervenieren und die Region vorübergehend zu einem internationalem Protektorat zu machen. Erich Rathfelder

Kommentar Seite 12

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