: Rap-Huhn in der Oper
Nachwuchs für die „Alsterspatzen“: Das Probesingen ist eine weibliche Veranstaltung ■ Von Elke Spanner
Jeanna ist eine Mittwochsstimme, das hört man sofort. Zumindest Jürgen Luhn tut das. Der Chorleiter der „Alsterspatzen“klimpert die Tonleiter rauf, Jeanna haucht sie hinterher, einen halben Ton zu tief, aber das immerhin konstant. Luhn ist angetan und Jeannas Mutter begeistert: Ab sofort wird das Töchterlein bei den legendären „Alsterspatzen“mitsingen. Mittwochs, denn Mittwoch ist der Tag der tiefen Tonlagen. Das gestrige Probesingen verläßt die Achtjährige mit dem Aufnahmeantrag in der Tasche. Regelmäßig Chorprobe, Plattenaufnahmen und Auftritte, heißt es ab sofort.
Auch für Ann-Kathrin. Die Mutter im Schlepptau – „das muß sie selbst entscheiden, ob sie das will“–, eilt die Elfjährige in den Vorführraum, denn Ann-Kathrin hat längst entschieden: Sie will Sängerin werden. Was begehrt Luhn zu hören? Ein „klassisches Stück, ohne Popeinschlag?“– „Wir sind die Moorsoldaten“. Die Tonleiter? Ann-Kathrin setzt tief an, schraubt sich hoch und erklimmt schließlich Höhen, bei denen man, wenn man sie im Radio hört, mutmaßt, der Sender habe die Maschinen manipuliert. Montagsstimme, eindeutig. „Ich bin immer ganz begeistert, wenn ich sie höre“, sagt Mutter Claudia B., die neben ihrer talentierten Tochter schon lange verstummt ist. Bereits mit drei Jahren habe Ann-Kathrin ihr das Singen verboten, das könne sie nicht richtig.
Das Vorsingen, gestern und heute in der Staatsoper, ist eine weibliche Veranstaltung. Mädchen zwischen sieben und 15 Jahren sind geladen, Jungs zwischen sieben und zehn, doch es sitzen fast ausschließlich Mütter mit ihren Töchtern im Warteraum. Gemessen an der Altersstufe der Anwesenden ist es still. Einige Kids wirken eher hilflos, zum Beispiel Camilla: „Ich weiß noch gar nicht, was ich gleich singen soll.“.Auf den mütterlichen Schoß flüchtet sich jedoch kaum eine, denn wer später alleine on stage bestehen will, muß zumindest die Wartezeit zum Vorsingen überdauern können. Zum Vorbereiten blieb nicht viel Zeit, die meisten haben erst am Vortag per Zeitungsannonce und Zufall von der zukunftsweisenden Chance erfahren. Zum Beispiel Sophie, die vor Nervosität keinen Pieps über die Lippen bringt. Luhn: „Möchtest du mir etwas vorsingen?“Sophie: „Nö“.
Doch dann kommt Dennis. Der strahlt so zuversichtlich, als warte draußen ein Millionenpublikum auf den Siebenjährigen mit den Zahnlücken, und nicht nur ein Lehrer, der ihn erst noch auf die Probe stellen muß. Und legt los: Die Zeiten von Volksliedern seien doch längst vorbei, wird seine Oma später erzählen, doch da hat man es bereits durch Dennis erfahren. „Das Rap-Huhn“gibt er zum besten, ein Lied, „mit dem er sich wohlfühlt, weil es um Tiere geht“, sagt Oma. Singen tut er dabei zwar nicht, aber sein Tanz ist so originell, daß Luhn ihm gerührt zulacht. Dann das nächste: „Es schneit“, schmettert Dennis mimisch unterfüttert: Er joggt über die Bühne, setzt sich fiktive Wollmützen auf und robbt schlittengleich neben dem Klavier her.
Montags- oder Mittwochsstimme ist noch nicht entschieden, Dennis kommt in den Vorchor der Alsterspatzen.
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