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Auftritte aus den Büschen

„Zions Sehnsucht“: Zum 50. Jahrestag der Gründung des Staates Israel veranstaltet der Kreis der Freunde der Habimah ein Programm. Gastspiele, eine Ausstellung und eine mißverständliche Rede  ■ Von Esther Slevogt

Nachum Marsel hat Pläne. Seit sechzig Jahren arbeitet er in der Imkerei seines Kibbuz und macht Honig. Der Hügel mit den Blumen, aus denen die Bienen den Honig holen, ist sein Lebenswerk. Er hat ihn dem kargen Land abgetrotzt, die Pflanzen gesetzt und gehegt. Jetzt will er ein neues Verfahren zur Honigproduktion einführen. Und während er noch darüber nachdenkt, woher das Geld dafür kommen soll, ist der Verkauf des Hügels längst beschlossen. Dort sollen Hallen für Großveranstaltungen entstehen. Doch keiner weiß, wie man das dem alten Nachum beibringen soll.

Schira, die Frau von Nachums Enkel, sagt: „Ich lebe nicht in der Steinzeit, als ein Stück Land noch etwas Heiliges war... ein Stück Land ist eine Ware, wie jede andere Ware.“ Schira will ein eigenes Haus, ein eigenes Auto, ein eigenes Leben. Das Leben im Kollektiv des Kibbuz hat für sie keine Zukunft. Die zionistischen Ideale haben ausgedient.

Nachum und Schira stammen aus dem jüngsten Stück von Joshua Sobol. „Honig“ heißt es und porträtiert eine Gesellschaft am Wendepunkt. Denn das Stück handelt nicht nur von der Krise der Kibbuzbewegung, sondern von der Identitätskrise der israelischen Gesellschaft. Als szenische Lesung war „Honig“ jetzt in der Baracke zu sehen, Teil einer Veranstaltungsreihe mit dem schönen Namen „Zions Sehnsucht“, die der Kreis der Freunde der Habimah aus Anlaß des 50. Jahrestags der Staatsgründung initiiert hat. Eine Reihe, zu der israelische Gastspiele aller Kunstsparten gehören.

Thomas Ostermeier und Jens Hillje haben „Honig“ als Variation über den „Kirschgarten“ skizziert. Ein Holzpodest mit ein paar Gartenmöbeln, umstellt von einer üppigen Topfpflanzenfauna. Schließlich verlangen Sobols Regieanweisungen immer wieder unverhoffte Auftritte aus den Büschen. Der Abend ist kurzweilig, mitunter vergißt man, daß die Rollen bloß gelesen werden. Zugute kommt dem Unternehmen auch, daß Hillje und Ostermeier nicht versuchen, dem Stück israelisches Kolorit anzuschminken. Und zwischendurch gibt es Strecken, da könnte „Honig“ auch ein Stück über die untergegangene DDR sein. Die zerfallenden zionistischen Ideale sind ja sozialistische Ideale.

Sozialismus goes Zionismus

Und wie es in der DDR in jeder Stadt eine Karl-Marx- oder Pieckstraße gab, findet man beinahe in jeder israelischen Stadt eine Herzl- oder Sokolovstraße. Die Gesichter zu diesen Namen findet man in einer Ausstellung im Foyer der Akademie der Künste wieder, die anhand von 38 Einzelbiographien den Weg des zionistischen Gedankens bis zur israelischen Staatsgründung beschreibt. Sie beginnt bei den Gründervätern des Zionismus um Theodor Herzl und dem Ersten Zionistischen Weltkongreß in Basel vor hundert Jahren und führt über Visionäre und Theoretiker bis zu den ersten Praktikern: Chaim N. Bialik, der die hebräische Sprache wiederbelebte, oder Baron Rothschild, der in großem Stil in Palästina Land für jüdische Siedlungen kaufte.

Am Ende stehen die Wegbereiter der Staatsgründung: Berl Katznelson, der die Arbeitspartei gründete, David Ben-Gurion oder Seev Jabotinsky, der 1937 schrieb: „Es ist durchaus verständlich, daß die palästinensischen Araber es vorziehen würden, wenn Palästina zum Araberstaat Nr.4, Nr.5 oder Nr.6 würde. Aber wenn man den arabischen Anspruch unserem jüdischen Verlangen nach Rettung gegenüberstellt, dann ist es, wie wenn man Appetit mit Hunger vergleicht.“

Man begegnet vielen Künstlern und Intellektuellen, deren Ideen aus den Weltverbesserungsprojekten der europäischen Moderne stammen. Palästina wurde auch zum Laboratorium für moderne Bau- und Gesellschaftsformen. Aber der Geist der Gründerjahre hatte auch viel vom Pathos der jungen sozialistischen Staaten. „Tragt hin nach Zion ein Wunder und eine Fahne“ ist ein berühmtes Marschlied der jüdischen Pioniere. Eine scheppernde Aufnahme dieses Liedes unterbricht immer wieder Yevgey Aryes Inszenierung des zweiten Sobol-Stücks, das in diesen Tagen in Berlin zu sehen war. „Dorf“, ein Bilderbogen aus den letzten Jahren vor der Staatsgründung Israels.

Die Idylle, in der Araber und zukünftige Israelis noch friedlich miteinander leben, bröckelt hier bereits. Heimlich proben die jüdischen Untergrundkämpfer der Hagana schon für den Fall, daß Rommel in El-Alamein gewinnt. Giftkapseln werden weitergereicht, und am Massadaplan wird gefeilt: kollektiver Selbstmord. Aber letztlich dringen auch Berichte vom Massenmord an ukrainischen Juden nur wie böse Märchen in die Pastorale, die das Gesher Theater aus Tel Aviv hier vorführt. Die anatevkaselige Ästhetik der Aufführung ist gewöhnungsbedürftig. Das Ganze scheint zu naiv. Vom Theatermachen mit den Mitteln Chagalls war im Vorfeld dieses Gastspiels oft die Rede. Nennen wir es eher ein verspieltes und verträumtes Volkstheater.

Fettnäpfe im deutsch- jüdischen Dialog

Die Habimah ist das israelischen Nationaltheater, und der Berliner Förderkreis sieht sich als Nachfolger eines gleichnamigen Vereins, der 1927 von Erwin Piscator gegründet worden war. Damals hatte die Habimah gerade Moskau Richtung Westeuropa, USA und schließlich Palästina verlassen – Moskau, wo sie 1916 als erstes, rein hebräischsprachiges Theater gegründet worden war. Piscators Habimah-Freunde mußten ihre Tätigkeit 1933 zwangsweise einstellen.

Seit 1987 gibt es wieder einen Habimah-Freundeskreis, der deutsch-jüdische Geschichte und das Israel von heute vorstellen will – „vor dem Hintergrund der Ereignisse dieses Jahrhunderts“, wie es Lothar C. Poll, der Vorstand, raunend formulierte. Auch sonst trat Poll wenig formulierungssicher auf. „Es gibt ein jüdisches Leben nach der Shoah!“ verkündete er in seiner Eröffnungsrede in der Akademie. Zuvor hatte er die Gunst der Stunde für ein Holocaust- Mahnmal-Statement genutzt.

Dies Mahnmal, so Poll, habe so lange keine Gegner gehabt, wie seine Realisierung nicht zu befürchten war. Nun sprach Poll aber nicht vor einer Versammlung von Rechtsradikalen oder Auschwitz- Leugnern, sondern er sagte diesen Satz seinem Vorredner ins Gesicht, dem Akademiepräsidenten György Konrád, dessen Rede am 9. November 1997 in der Jüdischen Gemeinde zu Berlin den Anstoß zum aktuellen Widerstand gegen die Realisierung dieses Mahnmals gab, das von deutscher Seite beschlossene Sache ist.

Später sprach Poll noch von der Bedeutung, die jüdische Kultur für eine deutsche Stadt gehabt habe. Damit meint er das Vorkriegsberlin und trifft eben genau die Unterscheidung, die den Berliner Juden damals zum Verhängnis wurde. In diesem Moment hätte man ihn auch für den Vorstand der Freunde des Jüdischen Kulturbundes halten können, der im Sommer 1933 gegründet wurde, um die Kulturarbeit von deutschen Juden zu ghettoisieren. Das war ja alles gut gemeint von Lothar C. Poll, doch schlecht durchdacht. Im Verhältnis der Deutschen zu den Juden und zu Israel sind die Fettnäpfe eben immer noch größer und breiter gestreut als anderswo.

Informationen zum Gastspielprogramm unter 28496217/-27

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