Kommentar: Bonner Irritainment
■ Koalitionsniederlage: Jetzt kommt der kleine Große Lauschangriff
Das kleinere Übel hat sich durchgesetzt, es kommt nur der kleine Große Lauschangriff. Ohne Wenn und Aber wollten CDU und CSU das Vermittlungsergebnis im Bundestag scheitern lassen – gescheitert sind nun sie. Die Bonner Koalition ist angeschlagen. Sie ist Opfer einiger „Umfaller“ aus der FDP. Sechs Monate vor der Bundestagswahl ist der Verlust der Kanzlermehrheit ein verheerendes Signal. Wollten sich die Unionsparteien doch über eine harte Haltung beim Wahlvolk profilieren. Die Prognose fällt leicht: Der Umgangston in der Koalition wird rauher werden, Wasser fließt auf die Mühlen derer, die im Herbst einer Großen Koalition den Vorzug vor einer mit der FDP geben. Schäuble, Kanther und Kohl eint der Zorn, die Liberalen könnten die Schmerzgrenze überschritten haben.
Die Sozialdemokratie wird den gestrigen Beschluß als ihren Erfolg feiern. Festzuhalten aber bleibt, daß der Lauschangriff weder die beschworenen Erfolge bei der Verbrechensbekämpfung nach sich ziehen wird, noch werden die jetzt aufgestellten Hürden lange halten. Die organisierten Verbrechenskartelle, auf die der Lauschangriff angeblich zielen soll, werden sich den Überwachungsmaßnahmen ohne großen Aufwand entziehen. Das bestreiten nicht einmal die Befürworter der „akustischen Wohnraumüberwachung“.
Die Frage, wer unter welchen Umständen belauscht werden darf, ist seit der Absegnung der Grundgesetzänderung nur mehr Spielball Bonner Parteiinteressen. Jede neue Mehrheit im Parlament wird sich auf die Ausführungsbestimmungen stürzen: mal zum Guten, mal zum Schlechten. Dem Populismus bei der Änderung des Grundgesetzes folgt damit der Klientelismus bei den Bestimmungen, die den Einsatz des neuen Instruments regeln. Das ist der SPD zu danken. Sie darf sich auch als erstes prominentes Opfer des Lauschangriffes fühlen – und das, bevor die erste Wanze installiert worden ist. Zwei Parteitage der Sozialdemokraten verbaten sich mit Mehrheit das große Lauschen. Die Parteispitze kippte wenig später den Beschluß, Parteichef Lafontaine sorgte dann erst für ein grundsätzliches Ja im Bundestag, um dann den Ausführungsbestimmungen im Bundesrat ein vehementes Nein entgegenzuhalten. Am Ende steht das Jein. Die Partei betreibt fleißig Irritainment, darüber kann auch die gestrige Schlappe der Koalition nicht hinwegtäuschen. Wolfgang Gast
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen